Ja, wenn die Bremer vor 900 Jahren nur aufmerksamer ihre eigenen Bücher gelesen hätten, dann hätten sie das von den Wikingern eben entdeckte Amerika besiedeln können. Denn seit dem Jahre 1076 gibt es in der Bremer Dom-Bibliothek ein Buch, in dem schwarz auf weiss von der Welt jenseits des Atlantik berichtet wird – niedergeschrieben von dem Bremer Domherrn Adam von Bremen. Er hatte in diesem Jahr seine vierbändige Arbeit über die ersten dreihundert Jahre bremisch-hamburgischer Kirchengeschichte beendet, in der er die Lebensläufe der ersten sechzehn Bremer Kirchenfürsten beschrieb. Im geografischen Anhang seines Werkes berichtet er von einer Sensation, die vierhundert Jahre lang nicht als solche erkannt wurde: Jenseits von Grönland gebe es eine Insel, die „Vienland“ genannt werde, „weil der Weinstock daselbst ohne Bearbeitung wächst und den besten Wein hervorbringt. Denn, dass diese Insel, ohne Aussaat einen Überfluss an Früchten habe, gehört keineswegs zu den fabelhaften Meinungen, sondern ich verdanke diese Nachricht den zuverlässigen Erzählungen der Dänen“ – womit er die Wikinger meinte.

Wir können den damaligen Bremern nicht böse sein, dass sie aus dieser Nachricht nichts gemacht haben. Wer hatte denn damals das Sagen? Doch die „Geistlichkeit“ und nicht die nüchternen Kaufleute, die gewiss wagemutig genug gewesen wären, Amerika in Besitz zu nehmen. Um so verstaubte das Wissen, das die Welt hätte verändern können, unbeachtet in einem alten Buch mit dem lateinischen Titel „Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum“, zu deutsch „Taten der Hamburger Erzbischöfe“. Mit deren „Taten“ oder besser Untaten wollen wir uns nicht beschäftigen. Wie überall bestanden diese zumeist aus Mord, Raub, Hexenverbrennungen, Diebstahl, Schändung und der Verkündung des „Wortes Gottes“, wie sie ihre Sammlung orientalischer Märchen aus tausendundeiner Nacht nennen. Zur Erinnerung des zwölfhundertjährigen Bestehens der gewaltsamen „Missionierung“ in Bremen, die von der Bundespost sogar mit einer Sondermarke „gefeiert“ wurde, erschien in wenigen Exemplaren ein Nachdruck des Buches, das Adam von Bremen damals verfasste – es liegt vor mir.

Auch neunhundert Jahre nach seiner Niederschrift ist der Band noch sehr lesenswert. Die Schilderungen Nordeuropas, an dem die Bremer Erzbischöfe ein ganz besonderes Plünderungsinteresse hatten, sahen sie es doch als ihre „vornehmste“ Aufgabe an, den Norden zu „missionieren“, lassen ein lebendiges Bild der damaligen Zeit entstehen. Adam von Bremen, das wollen wir nicht vergessen, war Domherr und stand im Dienst der Kirche, die ihrem orientalischen Wesen nach alle Macht an sich gerissen hatte. Daher wundert es nicht, dass er im Anhang zu seinem Buch allen künftigen Missionaren Reisewege gen Norden beschreibt. Allerdings hatte er, der von der Existenz Amerikas wusste, von der Geografie Europas recht kuriose Vorstellungen. Vielleicht gab er auch Seemannsgarn weiter, das er von seinem Gewährsmann, dem Dänenkönig Sven Estridson, erhalten hatte. So glaubte Adam, dass Kurland, Estland und Samland Inseln seien, Schottland und Irland eine Einheit bildeten, und an den Küsten der Ostsee vermutete er das „Weiberland“, das Land der Amazonen – ein Hort der Beflügelung mönchischer Phantasien.

Haarsträubendes weiss er von dem Frauenvolk zu berichten, „von denen einige behaupten wollen, dass sie bloss durch den Genuss des Wassers empfangen; andere sind der Meinung, dass sie von vorbeifahrenden Handelsleuten geschwängert werden, oder von ihren Gefangenen oder auch von anderen Ungeheuern“. Mit einer ganzen Reihe abstruser Behauptungen über diese Frauen fährt er fort und aus all dem ist der ungeheure Hass, die Verständnislosigkeit und die Frauenfeindlichkeit der mittelalterlichen Kirche zu erkennen.

Wer war eigentlich dieser vielzitierte Adam von Bremen? Was weiss man über ihn?

Gleich zu Anfang muss klargestellt werden, dass er nicht aus Bremen stammte. Er selbst bezeichnet sich daher als „Fremder und Neuling“. Er hat es schwer gehabt – wie mancher Wahlbremer nach ihm – an der Weser heimisch und warm zu werden, als er so zwischen 1066 und 1067 vom fränkischen Bamberg in das Bremer Domkapitel berufen und mit dem Amt des Leiters der Domschule betraut wurde. Begeistert war man nicht von ihm, denn man verstand ihn kaum. Luther war noch nicht geboren, und das allgemein gültige „Hochdeutsche“ kannte man deshalb noch nicht. Als Süddeutscher beherrschte er das Niederdeutsche nicht, und auf ihre S-prache liessen die Bremer nichts kommen, da blieben sie s-tur. Nach einigen Jahren aber scheint er dazugelernt zu haben, denn er spricht jetzt nur von „wir Sachsen“, und das erinnert uns an einen – wer war das doch gleich – der behauptete, ein „Berliner“ zu sein.

Bei seinen Erzbischöfen diagnostiziert er die angeblich typisch sächsischen Laster: „Sie schwelgen und huren sogar in der Fastenzeit“, sind berühmt wegen „übermässigen Fressens und Saufens“ nach dem Motto „Ihr Gott ist ihr Bauch“. Die Bauern auf dem flachen Lande sind „den heidnischen Irrtümern“ weiterhin treu ergeben und zeigen „Hass gegen alles Fremde“. Vor allem aber kränkte es ihn, dass sie „ihrem sächsischen Herzoge ergebener sind“ als dem Erzbischof und seiner heiligen Kirche – offenbar gab es damals schon (oder noch immer) gesunden Menschenverstand.

Sein Werk bereitete er gründlich vor. Nach Besuchen beim Dänenkönig Sven, dem damals besten Kenner des Nordens, sammelte er systematisch Stoff für sein Buch. Er hatte bei der Abfassung seines Werkes einen Hintergedanken, denn er wollte die Bremer Erzbischöfe, die eine bedeutende Rolle in der Reichspolitik spielten, „auf ihre eigentliche Aufgabe hinweisen, den Norden zu missionieren“. Er selbst war für die damalige Zeit ein ausserordentlich gebildeter Mensch. Das Studium der Theologie, der Lateinischen Sprache, der Literatur des alten Roms und natürlich der Bibel waren sein Handwerkszeug. Dazu kannte er Einhards Beschreibung des Lebens von Karl „dem Grossen“, die Jahrbücher von Fulda und Corvey, die Fränkische Geschichte des Gregor von Tours und die Berichte der Missionare Ansgar, Rimbert, Bonifazius, Willibrod und Willehad. Die Werke von Widukind und Thietmar, also aus der Frühzeit Sachsens, kannte er nicht. Er erhielt seine Ausbildung schliesslich im fränkischen Bamberg.

Obwohl Adam von sich behauptet: „Die Wahrheit ist mein Zeuge“, kann man ihm doch eine gewisse „Betriebsblindheit“ nachweisen, die besonders dann deutlich wird, wenn er den Ruhm der Bremer Kirche zu mehren versucht. Dem Willehad dichtet er eine „Sehnsucht zum Märtyrertod“ an, in der Lebensbeschreibung dieses Missionars ist davon allerdings nicht die Rede. Aus „einigen“ Getauften macht er „viele“, aus „vielen“ Getauften macht er eine „unzählige Menge“. Anstatt zuzugeben, dass die Missionare Sachsen aus Furcht verlassen hatten, gehen sie bei ihm „zwecks Predigt“ auseinander.

Eine Würdigung seines Werkes muss zwiespältig ausfallen. Einerseits war er eine treibende Kraft bei der Zerstörung der gewachsenen, alten, nordischen Kultur und ihrer religiösen Äusserungen, andererseits erfahren wir von ihm eine erstaunliche Menge an Einzelheiten gerade über die Zeit, in der das aus dem Orient eingeschleppte Christentum unseren Vorfahren aufgezwungen wurde. Für alle, die den religiösen Vorstellungen unserer Vorfahren nachspüren wollen, ist sein Werk, auch wenn es auf Seiten des Feindes geschrieben wurde, eine wichtige Quelle.

Dr. Wielant Hopfner