Inhalt
- Prof. Dr. Gustav Neckel: Die Bekehrung der Germanen zum Christentum im Lichte der Quellen
- Günther Saß: Sagazeugnisse zur Gewalt-Missionierung des alten Nordens
- Dr. Herbert Lenz: Wie die Deutschen Christen wurden
- Jürgen Rieger: Wie anziehend war das Christentum für germanische Heiden?
Vorwort zur 1. Auflage
Immer wieder wird von Christen die Behauptung aufgestellt: den Germanen sei das Christentum keineswegs aufgezwungen worden, sie hätten es vielmehr ihrerseits freiwillig angenommen und weiter verbreitet. Die Abschlachtung der 4500 Sachsen sei ein, gewiß bedauerliches, Versehen gewesen, oder habe lediglich politische Gründe gehabt, nicht christliche. Alles in allem: man könne unmöglich unter solchen Umständen behaupten, daß das Christentum dem deutschen Wesen entgegengesetzt sei, da doch die Geschichte das Gegenteil lehre. Wir wollen hier rein sachlich, „sine ira et Studio“, an die Behandlung dieser Frage herantreten, von der wir nur Aufschluß erwarten über die früheren Arbeits- und Kampfmethoden jener überstaatlichen Macht Rom. Diese Frage ist für uns von geschichtlichem, religions- und kulturgeschichtlichem Interesse. Die sorgfältige Prüfung dieser Geschehnisse an Hand der geschichtlichen Quellen ist erforderlich, da wir uns von keiner Seite, sei sie nun nordisch, protestantisch oder römisch-katholisch, mit Geschichtsverfälschungen verdummen lassen wollen. Wie unterschiedlich die Behauptungen sind, soll an einigen Zitaten deutlich werden.Prof. Dr. Rudolf Meißner stellt in seiner Schrift „Die Nordgermanen und das Christentum“, Bonn 1929, fest: „Die Missionsgeschichte Norwegens und Islands weiß nichts von christlichen Märtyrern, wohl aber von Heiden, die lieber Marter und Tod erduldeten, als daß sie ihrem Glauben untreu wurden.“ Demgegenüber behauptet der Schriftsteller Paul Grabein in dem Aufsatz „Die Menschen der altisländischen Sagas. – Ein Beitrag zur Kenntnis germanischen Wesens“ (in „Der getreue Eckardt“, 1930, Heft 5): „Von irgend welchem christlichen Glaubenseifer oder gar von fanatischen Bekehrungsmaßnahmen war nicht das mindeste zu merken.“ Andererseits führt ein Altnordist von Fach und Rang, Prof. Dr. Gustav Neckel, in seiner Abhandlung „Der Wert der isländischen Literatur besonders für die Erkenntnis der germanischen Frühzeit“ (in „Deutsche Islandforschung“, Breslau 1930) über Gewaltmaßnahmen der Bekehrer u.a. folgendes aus: „Besonders zu beachten sind die Verstümmelungen und andere Grausamkeiten, welche die Bekehrer androhen und gegebenenfalls kalten Blutes begehen, als wäre derartiges nur in der Ordnung, obwohl die Gegner nichts dergleichen tun, und die Quellen über rein heidnische Zeiten im Norden von nichts dergleichen wissen. Bedenken wir außerdem die anerkannt engen Zusammenhänge zwischen Quältrieb und Sexualität, sowie die Unwahrscheinlichkeit der Annahme, die Bekehrungsmethoden einer aus Palästina, Griechenland und Rom stammenden Lehre seien bei den spät unterworfenen Germanen zu Hause, so werden wir kaum daran zweifeln können, daß es sich um fremde Gepflogenheiten handelt, die aus dem Süden, oder aber letztlich aus dem Orient, die neue Religion begleitet hatten.“Demgegenüber spricht in einer Sammlung von Presseäußerungen zur „Thule“-Reihe in „Diederichslöwe“ (Jena 1930, Heft 2) Dr. H. Getzeny von der „schlimmsten Gefahr, die heutzutage der geschichtlichen Selbstbestimmung droht: von der blinden Idealisierung des germanischen Urzustandes aus einer völkischen Ideologie heraus. Es ist kein Paradieszustand, der am Anfang unserer Geschichte steht. Das lassen die Thule-Bände klar erkennen. Das Christentum bedeutet keinen Bruch, keine Zerstörung unersetzlichen germanischen Volksgutes“.
Ohne irgendwelche phantastische völkische Voreingenommenheit, doch auch fern von aller christlichen Ideologie hatte aber der Altnordist und Religionswissenschaftler Dr. Bernhard Kummer gerade diesen „Bruch“ und die Zerstörung hoher germanischer ethischer Werte durch die Missionierung unter besonderem Hinweis auf die Gewaltmethoden der Bekehrer schon 1927 klargestellt in „Midgards Untergang“ (Veröffentlichungen des Forschungsinstituts für vergleichende Religionsgeschichte an der Universität Leipzig) und dann in dem Aufsatz „Die Bedeutung des altnordischen Schrifttums für Religionsgeschichte und Missionskunde“ – Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft, Görlitz 1928.Auch in der ebenfalls von kirchlicher Seite herausgegebenen Schrift Walter Baetkes „Arteigene Religion und Christentum“ wird die Gewalt-Bekehrung bestritten. Baetke schreibt dort: “ Es ist ja geschichtliche Tatsache und läßt sich durch keinen noch so gehässigen Ausfall gegen das „Verbrechen der Christianisierung“ aus der Welt schaffen, daß sich die Bekehrung im allgemeinen freiwillig vollzogen hat. Das gilt nicht nur für die Süd- und Ostgermanen, sondern auch für den skandinavischen Norden. Die vereinzelten Märtyrer, die der Glaubenseifer der beiden Olafs auf dem Gewissen hat, sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen.“
Wir sehen also: ein ständiges Sich-Widersprechen zweier Richtungen – hier Fachwissenschaftler vom Range G. Neckels, R. Meißners und B. Kummers (die Reihe ließe sich noch bedeutend verlängern), dort Theologen und anscheinend oft von christlicher „Ideologie“ nicht ganz freie Schriftsteller. Unter ihnen ist aber der letzte Fall, die Äußerung W. Baetkes, besonders auffällig, weil dieser selbst an der großen Reihe deutscher Übertragungen des wichtigsten altnordischen Schrifttums, der Sammlung „Thule“, mitarbeitete, und man deshalb annehmen müßte, daß er den Inhalt dieser Quellen genau kennt. Nachfolgend sollen die Überlieferungen selber sprechen, und an Hand dieser Quellen-Berichte mag sich der unvoreingenommene Leser dann selbst ein Urteil bilden, ob im alten Norden und den anderen Teilen Germaniens Gewalttaten und staatliche Druckmittel dem Christentum den Weg bahnten, oder ob wirklich solche Übergriffe nur in ganz vereinzelten, die Regel des im allgemeinen freiwilligen Übertritts bestätigenden Ausnahmefällen vorkamen. Dabei ergänzen die umfangreichen nordischen Quellen die spärlichen Berichte bei anderen Germanenstämmen.
Günther SaßVorwort zur 2. Auflage
Die 2. Auflage dieser Schrift wurde durchgesehen und blieb im Wesentlichen unverändert, mit Ausnahme eines Aufsatzes von mir aus der „Nordischen Zeitung“, der erweitert hier eingefügt wurde, um dem Argument von Christen zu begegnen, die Christianisierung wäre auch ohne Gewalt erfolgt, weil das Heidentum seine innere Kraft verloren gehabt habe. Vergessen wir nie, was die Christen uns Heiden über viele Jahrhunderte hinweg angetan haben!
5.12.3800 n. St. Jürgen Rieger
Wie anziehend war das Christentum für germanische Heiden?
Einen Ort gab es, wo Christen und Heiden lange Zeit friedlich nebeneinander zusammengelebt haben. Dies ist Haithabu bei Schleswig gewesen.
Haithabu war neben Birka der wichtigste Handelsort im Norden. In ihrer Blütezeit besaß die Stadt rund 1.000 Einwohner. Da sie eine große Bedeutung hatte, wurde sie von der Kirche als Missionszentrum ausersehen. Ludwig der Fromme beauftragte im Jahre 826 n.d.Zw. den Mönch Ansgar mit der Dänenmission. Nachdem Ansgar „im schwedischen Birka im Jahre 829/30 eine Kirche gebaut hatte, wurde er 831 zum Erzbischof des damals eingerichteten Erzbistums Hamburg, von wo die nordische Missionsarbeit durchgeführt werden sollte, berufen. Im Jahre 845 kam eine Wikingerflotte die Elbe hinauf, plünderte und verbrannte Hamburg, und Ansgars Erzstift ging in Flammen auf. Mit knapper Not konnte er sein Leben retten. Unmittelbar danach wurden die Christen auch aus Birka vertrieben. Ansgar verlegte den Bischofssitz nach Bremen zurück. Weitere Einzelheiten sind in dem Buch von Hildegard Eisner: „Wikingermuseum Haithabu: Schaufenster einer frühen Stadt“ enthalten.
Ansgar versuchte jetzt, in Haithabu aktiv zu werden. Er ging dabei von der Überlegung aus, daß das Volk nur gewonnen werden könne, wenn die politische Führungsschicht Skandivaniens für den christlichen Glauben gewonnen werden könnte, weil ihrem Beispiel dann die breite Masse des Volkes folgen würde. Ansgars Missionare führten deshalb Geschenksendungen für die Großen des Volkes mit sich. Ferner wurde der Führungsschicht erklärt, daß christliche Kaufleute verstärkt diese Handelsorte besuchen würden, wenn eine Kirche eingerichtet würde. Wie Rimbert in seinem „Leben Ansgars“ im Kapitel 24 schreibt, erteilte König Horich von Dänemark Ansgar um 850 die Erlaubnis zum Bau der ersten Kirche in Haithabu, wobei es wörtlich heißt: 54
„Er ließ es sich daher angelegen sein, den damaligen dänischen Alleinkönig Horich aufzusuchen und sich durch Geschenke und alle möglichen Gefälligkeiten zu verpflichten, um mit seiner Erlaubnis das Amt der Verkündigung in seinem Reiche ausüben zu können.“ Des weiteren schreibt Rimbert, es habe in Haithabu bereits zahlreiche Christen gegeben, die in Dorestad oder Hamburg getauft worden seien, und nach ihrem Beispiele hätten „viele andere Männer und Frauen auf die abergläubische Götzenverehrung“ verzichtet, „sich zum Glauben an den Herrn“ bekehrt und sich taufen lassen. Wir werden sehen, daß diese Behauptung falsch ist, und dies lediglich christliche Tendenzliteratur zur Verherrlichung von Ansgar darstellt. Horich fiel, und mit ihm laut Rimbert „alle Großen des Landes, die einst dem Herrn Bischof eng befreundet gewesen waren“, in einer Schlacht; der Christengott wollte sie wohl in seiner Nähe haben. Horich der Jüngere kam an die Macht, und die Stimmung für das Christentum wurde laut Rimbert deswegen schlechter, weil die überlebenden Großen meinten, „ihre Götter seien erzürnt, und ihr ganzes Unglück komme von der Übernahme der Verehrung des neuen, unbekannten Gottes.“ Als „heftigster Gegner“ des Christentums wurde Graf Hovi von Schleswig bezeichnet, der die in Haithabu errichtete Kirche schließen ließ und christliche Kultübungen verbot, ferner den dortigen Priester zum Verlassen des Ortes zwang.
Hierzu eine Anmerkung: Das haben die „heftigsten Vertreter des Heidentums“ gemacht; die Christen pflegten heidnische Heiligtümer nicht nur zu schließen, sondern zu vernichten, und Heiden zu verbrennen!
Horich der Jüngere vertrieb aber Graf Hovi und erlaubte wiederum die christliche Kultausübung in Haithabu. Mit der Mission kam es aber nicht voran. Deswegen erlegte der deutsche König Heinrich I. dem dänischen König Chnuba, als er ihn 934 geschlagen hatte, neben Abgaben auf, sich in Haithabu taufen zu lassen (Widukind I, 40). Ferner mußte die Ausbreitung des Christentums geduldet werden. 948 wurden in Haithabu, Ribe und Aarhus gleichzeitig Bistümer gegründet. Haithabu verfügte also über einen Bischof, und dieser wurde von der Kirche sicherlich mit viel Geld und Mitarbeitern ausgestattet.
Was bewirkte dies alles? Wir haben einen nichtchristlichen Bericht dazu, und zwar des arabischen Kaufmannes und Diplomaten At-Tartu-schi aus Tortosa in Spanien, der Haithabu im Jahre 965 besuchte. Es heißt wörtlich in seinem Bericht: „Schleswig ist eine sehr große Stadt am äußersten Ende des Weltmeeres. In ihrem Innern gibt es Quellen süßen Wassers. Ihre Bewohner sind Siriusanbeter (d. h. Heiden), außer einer kleinen Anzahl, welche Christen sind, die dort eine Kirche besitzen.“
Das heißt: Obwohl Haithabu im Jahre 948 zum Bischofssitz erhoben worden war, hier eine der ersten Kirchenglocken Skandinaviens erklang, gab es nur wenige Christen in der Stadt! Darunter waren sicherlich die Meisten aus christlichen Ländern eingewanderte Kaufleute, und Einige von den Wikingern geraubte christliche Sklaven, die seit 880 dort nachweisbar sind. Weder Bestechung der Großen, noch „friedliche Missionstätigkeit“ haben also in einer Zeit von über 100 Jahren nennenswerten Einfluß haben können. Damals war die Generationenfolge viel kürzer; die Menschen heirateten viel früher, starben auch viel früher. Von 850 bis 965 muß man deshalb 5 bis 6 Generationen ansetzen. 5 bis 6 Generationen germanischer Heiden sind also christlicher Missionstätigkeit ausgesetzt worden, und dies an einem Bischofssitz, dem wegen seiner Bedeutung für die Missionstätigkeit von der christlichen Kirche gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet worden war. Der Erfolg war noch 965 ausweislich des Berichtes des arabischen Kaufmannes mehr als gering!
Christlich wurde Dänemark erst, als sich Harald Blauzahn um 965 taufen ließ, die christliche Religion Staatsreligion wurde, und der heidnische Kult verboten wurde. In Snorris „Heimskringla“ heißt es im Kapitel 53: „Als der Dänenkönig Harald Gormssohn das Christentum angenommen hatte, da sandte er Botschaften herum in seinem ganzen Reich, jederman solle sich taufen lassen und den rechten Glauben annehmen. Er selbst handelte nach diesem Gebote und wandte Gewalt und harte Strafen an, wo es nicht anders ging.“ Die oftmals von Christen gebrachte Behauptung, das Heidentum habe in der Missionszeit bereits seine innere Kraft verloren gehabt, die Germanen seien freudig zum Christentum übergegangen (so von vielen mittelalterlichen Chronisten behauptet und hier bezüglich Rimberts als Lüge entlarvt, was auch auf andere Quellen ein bezeichnendes Licht wirft), die neue Religion habe anziehend gewirkt, wird durch den Bericht eines arabischen Kaufmannes als Lüge entlarvt. Im Gegenteil: Da die Germanen die Auffassung hatten, daß der König das Heil und die Verbindung mit den Göttern repräsentiere, hätte an sich ein Glaubenswechsel bei einem Herrscher dazu führen müssen, daß nicht nur seine Gefolgsleute, sondern das Volk insgesamt sich zu einem neuen Glauben bekehren ließ. Daß dies im Falle des Christentums gleichwohl nicht erfolgt ist, sondern die Frankenkönige ebenso wie die dänischen oder norwegischen Herrscher Gewalt anwenden mußten, um das Volk zur Taufe zu bringen, beweist deutlich die innere Kraft des Heidentums.
Soweit von verschiedenen Autoren aus Formulierungen in den Sagas, wo auf die Frage, welchen Glauben man habe, gesagt wird: „Ich glaube an den, der die Sonne gemacht hat“, oder „Ich glaube an meine eigene Macht und Stärke“, geschlossen wird, daß der alte Heidenglaube bereits im Verfall gewesen sei, ist dies nicht zutreffend. Bei diesen Antworten handelt es sich regelmäßig um Antworten auf die Fragen christlicher skandinavischer Könige, die in ihrem Gefolge grundsätzlich nur Christen duldeten. Wenn dann ein Heide ausweichend antwortet, kann daraus nicht auf einen Verfall des Heidentums geschlossen werden.
Das Christentum selbst konnte nur durchschlagenden Erfolg haben, wo es sich hinter die Könige stellte. Teilweise geschah dies – wie in Dänemark hier gezeigt -, durch üppige Geschenke, teilweise, indem heidnischen germanischen Herrschern christliche Königstöchter aus anderen Ländern verheiratet wurden, die dann ihrerseits die Kinder – und damit den künftigen Herrscher – christlich erzogen. Wo man bei den Vornehmen selbst nicht weiter kam, steckte man sich seitens der Priester häufig hinter die Frauen. So wurde die Frau des grönländer Wikings Erik der Rote dazu gebracht, mit ihrem Mann nicht mehr geschlechtlich zu verkehren, wenn er sich nicht vom Heidenglauben abwende, weil sie um ihr eigenes Seelenheil fürchtete. Da es mit der Missionierung nicht voran ging, verfielen die Kleriker ferner auf die Idee, Kinder als Sklaven aufzukaufen, diese christlich zu erziehen und dann freizulassen, um damit Träger ihrer eigenen Religion zu haben. Mit freigelassenen Sklaven konnte man bei freigeborenen Germanen aber keinen Eindruck schinden; ohne Gewaltausübung wären wir Heiden geblieben, so wie die Christenmission in Japan oder China keinen Erfolg gehabt hat, weil bis dahin keine Kreuzzüge durchgeführt werden konnten.
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