In unserem Artbekenntnis heißt es unter Ziffer 5: „Unser Sein verdanken wir wesentlich Eltern und Ahnen. Wir bekennen uns zur Verehrung unserer Ahnen und wollen ihr Andenken an kommende Geschlechter weiterreichen.“ Eine Selbstverständlichkeit, mögen manche denken.

 

Die religiöse Haltung der nordischen Seele

Wenn wir einen Blick auf die religiösen Überlieferungen der nordischen Völker des Altertums werfen, vor allem auf die der Frühzeit, in der sich Einflüsse fremder Rassen noch wenig bemerkbar machen, so finden wir darin zahlreiche gemeinsame Wesenszüge, die zu der uns von Jugend an vertrauten christlichen und den ihr verwandten morgenländischen Religionen in auffälligem Gegensatz stehen. Bereits die Grundrichtung beider Gruppen ist völlig verschieden. Gegenüber der dort herrschenden Jenseitsbetonung ist allen nordischen Völkern eine schlichte Bejahung des Diesseits eigen. Unbekannt ist ihnen der künstliche Gegensatz zwischen Leib und Seele: Der Leib als das Gefäss der Sünde. Dem nordischen Menschen liegt seelische Verkrampfung, für die das christliche Mittelalter, etwa bei den Geisslern, so viele Beispiele liefert, ebenso fern wie jene Weltverneinung, die sich aus der tätigen Gemeinschaft der Menschen in Einöden zurückzieht. Frömmigkeit ist ihm nicht Flucht aus der Welt, sondern Steigerung des Lebens; sie ist mit einer glücklichen Prägung Hans Günthers eine Frömmigkeit der in der Welt und in ihrem Leibe sich wohlfühlenden Seele.

Die nordischen Religionen des Altertums sind keine Offenbarungsreligionen wie die morgenländischen; sie kennen daher auch keine Lehrsätze (Dogmen), die geglaubt werden müssen; sie kennen ferner keine Priesterschaft als Hüter dieser Lehrsätze und ebensowenig eine Gemeinschaft, die mit der christlichen Kirche verglichen werden könnte. Die Priester, die bei den grossen Jahresfesten der nordischen Völker die Opfer vollzogen, hatten keinerlei politische Gewalt. Gegenüber fremden Glaubensanschauungen herrschte eine schlechthin selbstverständliche Duldung. Kein Inder oder Perser der Frühzeit, kein Grieche, Römer oder Germane ist je auf den Gedanken gekommen, anderen Menschen oder Völkern seine religiöse Überzeugung aufzuzwingen. Daher kannte das nordische Altertum auch keine Ketzerverfolgungen und keine Religionskriege, die im Mittelalter und weit in die neuere Zeit hinein ungezählten Millionen das Leben gekostet haben. Wenn wir nun aber diese Wesenszüge der nordischen Völker des Altertums noch heute gefühlsmässig bejahen, obwohl wir doch in ganz anderen Anschauungen erzogen worden sind, dann hat nicht nur einst die gleiche seelische Haltung über Tausende von Meilen von Indien bis nach Germanien hin bestanden, sondern sie besteht nach Tausenden von Jahren noch bis auf diesen Tag. Das rührt daher, dass die Rassenseele, sofern ihr Gleichgewicht nicht durch Rassenmischung gestört wird, innerhalb geschichtlicher Zeiträume eine ebenso feste Grösse ist, wie wir das von der rassischen Gestalt des Leibes wissen.

Gehen wir nunmehr im folgenden daran, die religiöse Haltung der nordischen Seele näher zu untersuchen, so können wir nicht ganz von den religiösen Glaubensinhalten absehen; aber sie sind uns in keinem Falle Gegenstand kritischer Betrachtung – das wäre eine Aufgabe der Religionsgeschichte, der Religionsphilosophie und schliesslich der Verteidigung oder Ablehnung eines bestimmten Bekenntnisses -, sondern sie sind uns lediglich Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf die ihnen zugrundeliegende seelische Haltung ermöglichen. Wir wenden uns jetzt der nordischen Frömmigkeit in ihrem Verhältnis zur Lebensgemeinschaft, zur Natur, zur Gottheit und zum Schicksal zu. Dabei betrachten wir vorwiegend unsere germanischen Vorfahren und ziehen andere nordische Völker nur zur Ergänzung und Abrundung des Bildes heran. Während wir nun heute gewöhnt sind, die Religion als ein Wertgebiet für sich anzusehen, das neben anderen seine besonderen Forderungen an den Menschen richtet, wachsen bei den Germanen wie überhaupt bei den Völkern des Altertums Sittlichkeit, Recht und Frömmigkeit aus einer gemeinsamen Wurzel und sind Ausdruck ein und derselben seelischen Grundstimmung, der im jeweiligen Lebenszusammenhang der heilige Brauch Form und Würde verleiht. Eine Aufspaltung in mehrere Teile wäre dem Germanen unverständlich gewesen; denn sein Verhältnis zum Mitmenschen, zur Gemeinschaft, zur Gottheit wurde durch die gleiche geheiligte Überlieferung bestimmt. Daher handelt der alte Hildebrand des Heldenliedes, der, um seine Ehre zu wahren, blutenden Herzens den eigenen Sohn im Zweikampf tötet, vom germanischen Standpunkt aus fromm und sittlich zugleich; denn nur der Held, dessen Ehre unverletzt ist, kann vor der Gottheit bestehen. Heldische Tat ist Gottesdienst. Wie weit der Einfluss der Religion reichte, zeigen nicht nur die bereits von Tacitus bezeugten staatlichen Opfer, sondern auch die Tatsache, dass bei der Zusammenfassung kleiner völkischer Einheiten zu grösseren Stammesverbänden gerade der gemeinsame gottesdienstliche Mittelpunkt eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Im engeren Bereich der Lebensgemeinschaft wiederum waren Heimat und Hof, Haus und Herd die Stätten göttlichen Wirkens. Hier wurzelte die Sippe, deren Band als das festeste und heiligste empfunden wurde; denn Sippe bedeutet nicht nur Blutsgemeinschaft, sondern auch Frieden. Der Bruch des heiligen Sippenfriedens zog schwerste Strafe nach sich; bei Mord verpflichtete er jeden Ungehörigen zur Blutrache. Sie war religiöse Pflicht, auf deren Erfüllung der Bestand der Gemeinschaft beruhte. So sind auch hier religiöse und sittliche Pflicht gleichbedeutend gewesen. Das heilige Gesetz der Sippe verbürgte ferner die Reinheit des Blutes der kommenden Geschlechter, was da von besonderer Bedeutung sein musste, wo mehrere Rassen auf gleichem Raume zusammen lebten. Solange nordisches Adelsbauerntum durch das feste Band der Sippe geschützt wurde, erhielt es sich durch Jahrhunderte hindurch unversehrt; riss dieses Band, so folgte inmitten einer fremdrassigen Bevölkerung der Untergang der nordischen Kultur mit Riesenschritten. Den religiösen Urgrund der Sippe zeigen auch die den neugeborenen Kindern gegebenen Namen, die bei Indern, Persern, Griechen und Germanen vielfach eine enge Verbundenheit mit den Göttern erkennen lassen. Namen wie griechisch Herakles, Ruhm der Hera, oder germanisch Ansgar, Speer des Asen, mögen als Beispiel dienen. Hierher gehören auch Namen wie Bernhard, Eberhard und ähnliche, die in ihrem ersten Bestandteil ein der Gottheit geheiligtes Tier nennen.

Die religiöse Weihe, die über der Sippe lag, übertrug sich auf die Frau als die Mutter des kommenden Geschlechts, in der die Germanen nach dem Bericht des Tacitus etwas Heiliges und Seherisches erblickten. Nichts beweist so sehr die Höhe und Reinheit germanischer Sittlichkeit als gerade diese Tatsache. Dieser hohen Wertschätzung der Frau entspricht es auch, worauf Bernhard Kummer aufmerksam macht, dass bei keinem Volke der Welt eine solche Fülle grosser weiblicher Persönlichkeiten zu finden ist wie gerade bei den Germanen. Die Sippe umfasst aber nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten, die man mit feierlichem Brauche der Erde oder dem Feuer übergeben hat. Die Anschauungen über den Aufenthaltsort der Toten haben sich bei den nordischen Völkern verschieden weiterentwickelt; die ursprüngliche Vorstellung scheint sich am längsten in Island erhalten zu haben, wo der Glaube herrschte, dass sich die Toten im heiligen Berge nahe den Gehöften ihrer Sippe zusammenfänden. So fühlte sich der Germane dauernd mit seinen verstorbenen Angehörigen verbunden, und der Friede des heiligen Berges war nur die Fortsetzung des Friedens, der die Sippe umschloss. Die religiöse Haltung, die wir bisher kennengelernt haben, lässt sich am besten als Lebensfrömmigkeit bezeichnen, als eine Frömmigkeit, die nicht von Glaubenssätzen abhängig ist, sondern ihren Schwerpunkt im heiligen Bereich der Sippe findet, die den nordischen Menschen bluts- und überlieferungsmässig mit Ahnen und Enkeln verbindet und damit zugleich in einen festen Aufgabenkreis hineinstellt. Von der Tiefe germanischen Seelenlebens zeugen dabei Wörter wie Innigkeit und Gemüt, die in fremde Sprachen nicht übersetzt werden können. Mit dieser seelischen Tiefe war aber zugleich ein starkes Selbstvertrauen vereint, für das zahlreiche Beispiele vor allem des germanischen Nordens vorliegen, wo die Berufung auf die angeborene seelische Eigenkraft – eine vom christlichen Standpunkt aus nur schwer als religiös empfindbare Erscheinung – weit verbreitet ist. Der nordische Mensch der Vergangenheit wurzelt so fest im göttlichen Urgrund des Lebens, dass er sich dieser Verwurzelung in stolzer und zugleich frommer Selbstsicherheit bewusst war; eine seelische Haltung, von der aus – wenn auch selbstverständlich mit Einschränkungen, die im Abstand der Zeiten begründet liegen – wohl eine Brücke zur Kantischen Würde der Persönlichkeit geschlagen werden könnte.

Jedoch auch die Art, wie das Gegenteil frommen Denkens und Tuns von unseren Altvorderen aufgefasst wurde, Iässt uns einen Blick in die nordische Seele werfen. Wir dürfen dabei allerdings nicht das Wort Sünde heranziehen. Als eine uralte Abteilung vom Zeitwort „sein“ bezeichnet es zunächst nur das Seiende, den Tatbestand vor Gericht, der für den Angeklagten sowohl günstig wie ungünstig sein konnte. Es hat dann aber durch die Übernahme in die christliche Lehre eine Bedeutung erhalten, die dem Norden ursprünglich fremd war. Gegenüber seiner jetzigen starken Gefühlsbetonung, die den Menschen zu Boden drückt, haben die reiner germanischen Begriffe etwas schlicht Sachliches an sich.

Da man der Gottheit Verehrung schuldete, stand man in ihrer Schuld. Diese Schuld blieb so lange bestehen, bis sie eingelöst, oder was einst dasselbe war, gebüsst, d. h. ganz wörtlich gebessert wurde. Die Verletzung des Sippenfriedens wurde ebenso sachlich als Bruch empfunden, der den Schuldigen von der Gemeinschaft trennte. Den Sippenfrieden brechen, war ein Verbrechen, der Täter ein Verbrecher. Und als drittes bietet sich das Wort Frevel, das eigentlich Übermut bedeutet und bezeichnenderweise auf derselben Linie liegt wie das griechische Hybris – Übermut. Beide deuten eine offenbar in der seelischen Anlage des nordischen Menschen liegende Gefahr an, die ihm von der Gottheit gesetzten Schranken zu überschreiten und schuldig zu werden. Demgegenüber bedeutet „gut“ ursprünglich „passend“ , d. h. sich einfügend in den gottgewollten Zusammenhang der Sippe.

Aber die nordische Seele ist niemals bei der reinen Stimmung oder der sachlichen Beurteilung stehengeblieben, sondern sie hat, wohl schon seit Urzeiten, ein heiliges Brauchtum entwickelt und damit allem für die Gemeinschaft wichtigen Geschehen eine Weihe verliehen, deren Tiefe wir heute nur noch ahnen können. Das hohe Alter dieses Brauchtums wird bereits erwiesen, wenn wir das lateinische Wort ritus, Brauch, neben das gleichbedeutende altindische „rtam“, heiliger Brauch, stellen, die beide urverwandt sind, d.h. der gemeinsamen indogermanischen Grundsprache der jüngeren Steinzeit entstammen. Wie hoch der heilige Brauch bewertet wurde, zeigt sich darin, dass er in späterer indischer Entwicklung beinahe als Sinn der Welt angesehen wurde, was der ursprünglichen Auffassung gewiss nicht entsprach. Seine gedankliche Tiefe wird uns jedoch blitzartig klar, wenn wir sehen, dass unser deutsches Wort „Art“ sprachlich zu derselben Wurzel gehört wie ritus und rtam, und dass mithin unsere jungsteinzeitlichen Ahnen den Zusammenhang zwischen Blut und rechtem Brauch erkannt hatten. Wir können im übrigen hier nur kurz darauf hinweisen, dass das religiöse Brauchtum der nordischen Völker nicht nur den Hauptabschnitt des bäuerlichen Jahres, sondern auch den wichtigsten Ereignissen im Leben der Sippe, Geburt, Hochzeit und Tod, seine Weihe gegeben hat. So haben z.B. unsere Vorfahren den Brauch, das neugeborene Kind bei der Namengebung mit Wasser zu besprengen, lange vor der Bekehrung geübt. Wer ferner etwa den Scheesseler Brauttanz einmal erlebt, den wird die feierliche Wirkung dieses Reigens auf das tiefste packen. Und wenn wir heute von einem Leichenbegräbnis sprechen, so erinnert das Wort Begängnis daran, dass einst unsere Altvorderen in feierlichem Zuge den Grabhügel umschritten, vielleicht um den Toten so in ihren Schutz zu nehmen. Dass solche Bräuche bis in ferne Vorzeit zurückreichen, dafür hat jüngst der Vorgeschichtsforscher Hans Müller- Brauel einen, wie mir scheint, vollgültigen Beweis geliefert.

Er hat gezeigt, dass der Brauch, den Sarg oder die Urne des Toten durch eine Schicht weissen Sandes von der Erdunterlage zu trennen, von der jüngeren Steinzeit an durch Bronzezeit, Eisenzeit und Mittelalter hindurch in einigen Gegenden der Lüneburger Heide bis zur Gegenwart erhalten geblieben ist. Wer ist nicht ergriffen von der frommen Gesinnung, die über fünf Jahrtausende hinweg an einem so ehrwürdigen Brauche festhält !

Über den engeren Bereich der Sippe hinaus gingen die Jahresfeste, die grössere Gemeinschaften bis zum Gau und Stamm zu feierlichem Brauch zusammenfassten. Solche Veranstaltungen waren Feier und Fest zugleich und konnten sehr wohl auch zu fröhlichem Spiel Anlass geben. Volksfeste im heutigen Sinne, ohne religiösen Hintergrund, kannte die Vorzeit nicht. Zu den grossen Jahresfesten gehörte wohl auch der von Tacitus berichtete Umzug des Wagens der Nerthus, die den Midgardfrieden und den Saaten Fruchtbarkeit brachte. Beachtenswert ist bei alledem, dass germanische Frömmigkeit keiner Gotteshäuser bedurfte. Es fehlen nicht nur alle alten Bezeichnungen dafür, sondern wir haben auch das ausdrückliche Zeugnis des Tacitus, dass unsere Ahnen es verschmähten, Götter menschenähnlich nachzubilden und in Mauern einzuschliessen. Heilige Haine dagegen sind vielfach bezeugt; und wenn sich darin gelegentlich Unterkunftsräume für Opfergeräte befanden, so hat das mit unseren Gotteshäusern als Versammlungsräumen einer Gemeinde nichts zu tun. Dass auch Rechtspflege und Heerwesen heiligen Bräuchen ihr festes Gefüge verdankten, versteht sich von selbst; denn es galt auch hier, den Willen der Gottheit zu erfüllen, d.h. die heilige Ordnung des Lebens zu sichern.

Mit der Weihehandlung war das Gebet verbunden, das wohl von altersher in festgefügten Stabreimen die Gottheit als Zeugen und Helfer anrief. Aufrecht, mit erhobenen Händen trat der Germane vor die Gottheit; oder er beugte auch ein Knie zur Erde; andere Stellungen sind selten. Wenn demgegenüber die Semnonen nach dem Bericht des Tacitus ihren heiligen Hain nur gefesselt betreten durften, dann liegt das so abseits von allem, was wir von germanischer Frömmigkeit wissen, dass man hier an fremden Einfluss glauben möchte. Dieser Stamm wohnte seit der Mitte des ersten Jahrtausends vor der Zeitwende zwischen mittlerer Elbe und Oder in erobertem Grenzland und könnte von der unterworfenen Bevölkerung mit dem Hain wohl auch fremde Bräuche übernommen haben. Die Gebetsrichtung ist in alter Zeit immer der Norden gewesen, weshalb die christliche Kirche der Bekehrungszeit mit stärkstem Nachdruck auf die Bevorzugung der Ost-Richtung Wert legte. Nach Norden blickte der Germane zum Sitz der Götter empor, deren Burg sich in der Richtung des Nordsterns über der als Weltachse gedachten Esche Yggdrasil erhob. Inhalt des Gebetes konnte alles sein, was das Menschenherz bewegte. Häufig wurde nach altnordischen Quellen um gute Ernte und Frieden gebetet, was bei einem Bauernvolk durchaus begreiflich ist. Leider sind uns, weil die Kirche so gründlich mit der vorchristlichen Überlieferung aufgeräumt hat, nur sehr wenige Gebete unserer Vorfahren im Wortlaut erhalten. Auch das nachfolgende kann nur bedingt als Beispiel angeführt werden, da es der eddischen Dichtung entnommen ist. Es wird der von Sigurd erweckten Walküre in den Mund gelegt, die zum Leben zurückgekehrt, die göttlichen Mächte des Tages, der Nacht und der Erdenflur um ihre Huld bittet, und lautet in Felix Genzmers Übersetzung folgendermassen:

Heil dir, Tag !
Heil euch, Tagsöhne !
Heil, Nacht und Nachtkind !
Mit holden Augen
schaut her auf uns
und gebt uns Sitzenden Sieg !
Heil euch, Asen !
Heil euch, Asinnen !
Heil dir, fruchtschwere Flur !
Rat und Rede
gebt uns ruhmreichen Beiden
und heilkräftige Hände
lebenslang!

In diesem Zusammenhange seien noch kurz die wichtigsten religiösen Sinnbilder gestreift, die weit in vorgeschichtliche Zeiten zurückreichen. Einmal das Hakenkreuz, das die drehende Sonne und damit zugleich die heilige Ordnung des Jahreslaufs und des menschlichen Lebens versinnbildlicht. Daneben stand, vermutlich mit ähnlicher Bedeutung, das gleicharmige Kreuz, das einst in Nordeuropa weit verbreitet war, und in den Anfängen des Christentums lange Zeit als heidnisch bekämpft wurde, bis es etwa im 5. Jahrhundert an die Seite der christlichen Sinnbilder trat. Ferner die Doppelaxt des Donnerers und Himmelsgottes, die auf den schwedischen Felsbildern der jüngeren Steinzeit ebenso häufig ist wie bei den nordischen Eroberern Kleinasiens um die gleiche Zeit. Und endlich der heilige Ring, der nicht ganz geschlossen ist und, wie Bernhard Kummer annimmt, die zum Gottesdienst versammelte Gemeinschaft versinnbildlicht, unter die als schliessendes Glied, den Kreis vollendend, unsichtbar die Gottheit tritt.

Ist diese Deutung richtig, so braucht zur Schönheit und seelischen Tiefe dieses Sinnbildes nichts hinzugefügt zu werden.

Wie in der Lebensordnung, so zeigt sich nordische Frömmigkeit auch gegenüber der Natur, wobei ein deutlicher Gegensatz zu den morgenländischen Religionen einschliesslich des Christentums zutage tritt, die ein ganz anders geartetes Verhältnis zur Natur haben, da sie ihr, wo sie nicht schlechthin als Bereich des Bösen gilt, im Vergleich zu ihren überweltlichen Zielen nur eine untergeordnete Bedeutung zuerkennen. Der nordische Mensch hingegen sah sich in eine Welt lebendiger göttlicher Kräfte hineingestellt. Er empfand ihr Wirken in all den Erscheinungen, die auch für uns noch den Schauer des Geheimnisvollen bergen: in der Tiefe des Waldes, im sprudelnden Quell, in der unendlichen Weite des Meeres, im blauen Dom des Himmelsgewölbes, im stillen Leuchten der Sterne, in der drohenden Gewalt der Gewitterwolken, und zollte ihnen in frommer Scheu Verehrung. Heute wie vor 5000 Jahren dieselbe seelische Grundhaltung, mag auch die Ausdeutung dieser Erscheinungen im Wechsel der Zeiten eine andere geworden sein. Aus dieser seelischen Haltung heraus konnte einer der grössten nordischen Denker des griechischen Altertums, Heraklit, einst am Herdfeuer sitzend den an der Tür stehenden Fremdlingen zurufen: „Tretet ein, denn auch hier sind Götter !“ 

So steht nordische Wirklichkeitsreligion gegenüber morgenländischer Offenbarungsreligion.

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In dieser von göttlichen Kräften erfüllten Natur waltete nun aber dieselbe heilige Ordnung, die auch das menschliche Leben umschloss. Die hier zugrunde liegende Anschauung ist ein Erbgut aus indogermanischer Vorzeit; denn wir finden sie in mehr oder minder deutlicher Ausprägung bei allen grossen nordischen Völkern des Altertums. Bei den Indern versinnbildlicht der heilige Brauch die heilige Ordnung der Welt und wurde schliesslich sogar mit ihr eins. Der Grieche verwandte zur Bezeichnung der Welt das Wort Kosmos, das zugleich Ordnung und Schmuck bedeutet. Und auch im lateinischen mundus, das sowohl Welt wie Schmuck heisst, schimmert der Grundgedanke noch durch. Diese heilige Ordnung war für die nordischen Völker eine zwingende Lebensnotwendigkeit, da alle Gestaltung ihres bäuerlichen Daseins an den regelmässigen Ablauf der Jahreszeiten gebunden war. Aber sie war ihnen nicht nur die die Welt zusammenhaltende Grundkraft, sondern zugleich auch die religiös-sittliche Grundforderung, von deren Erfüllung der Bestand der Sippe und jeder umfassenderen Gemeinschaft abhing. Bei den Germanen kommt im Worte Welt weniger die sichtbare Ordnung des Seins und Geschehens zum Ausdruck, als der Versuch einer Gliederung grosser Zeiträume, für die in Indien und Persien sogar bestimmte Zahlen überliefert sind. Auch in der Edda klingt das noch an. Welt ist aus Weralt, d. h. Menschenzeitalter, entstanden und setzt demgemäss eine Aufeinanderfolge mehrerer Zeitalter voraus. Dem der Menschen ging nach der Edda eins der Riesen vorher und auf den Weltuntergang, wie ihn der Seherin Weissagung beschreibt, folgt ein weiteres Zeitalter.

Zu dieser Auffassung von der heiligen Ordnung und Schönheit der Welt steht die christlich-morgenländische in einem doppelten Gegensatz. Für den nordischen Menschen ist die Welt die einzige Wirklichkeit, die Stätte, die zu gestalten ihm aufgegeben ist. Daher hatten einst die Perser in Erinnerung an die Wälder ihrer nordischen Heimat in den sonnenverbrannten Flusstälern Vorderasiens schattige, parkartige Gärten grossen Stiles angepflanzt und ihnen den Namen paradaeza, Gehege, gegeben, woraus griechisch Paradeisos, Tiergarten, wurde. Die morgenländischen Nomaden, die diese Gärten nicht zu erhalten vermochten, verlegten sie unter Beibehaltung des Namens Paradies in das Jenseits. Ihnen war die Erde ein Jammertal. Und während in der Welt des nordischen Menschen eine gottgeschaffene Ordnung herrscht, deren Durchbrechung sei es als Unheil, sei es als Frevel angesehen wird, lebt der morgenländische Mensch wie auch der strenggläubige Christ in einem Glauben an Wunder, die diese gottgeschaffene Ordnung der Naturgesetze durchbrechen.

Nachdem wir so neben der religiösen Sippenverbundenheit die religiöse Naturverbundenheit der nordischen Seele betrachtet haben, werden wir nunmehr sehen, dass auch ihr Verhältnis zur persönlich gedachten Gottheit ein durchaus eigenes Gepräge trägt. Dabei dürfen wir uns durch die übliche Hervorhebung eines Gegensatzes zwischen dem Glauben an einen Gott und einem solchen an mehrere Götter nicht beirren lassen. Dem nordischen Menschen lag es fern, an die göttliche Macht den Massstab der Zahl anzulegen. Wenn er die göttliche Urkraft in ihren verschiedenen Erscheinungsformen verehrte, so zeugt das nur für seinen frommen Sinn, der überall in der Welt die Spuren göttlichen Wirkens sah. Dem Einheitsbedürfnis genügte es seit der jüngeren Steinzeit, dass der nordische Himmelsgott wie ein Hausvater über Welt und Menschen waltete. Und es ist überaus bezeichnend für die Eigenart der nordischen Seele, dass der alles umfassenden göttlichen Macht schon damals gerade der Beiname Vater gegeben worden ist, wie die indische, die griechische, die römische und die germanische Überlieferung zeigen. Wie sehr neben diesem göttlichen Oberhaupt andere Gottheiten, die doch im Grunde nur Sondererscheinungen seines Wesens waren, zurücktraten, darauf weist auch die Tatsache hin, dass aus dem gemein-indogermanischen Altertum nur dieser eine Name des Gottvaters erhalten ist, während für die anderen keine Sprachgleichungen vorliegen. Seine göttliche Hoheit wird bei den Germanen durch die Bezeichnung „Irmingot“ angedeutet, die Unergründlichkeit seines Wesens durch die schönen Worte des Tacitus von dem Geheimnisvollen, das man nur in Andacht schaut. Der Ausdruck Vater für die Gottheit im Alten Testament ist nachweislich erst aus der nordisch-persischen Überlieferung entlehnt worden. Er passt im Grunde auch nicht zu der alttestamentlichen Vorstellung von Gott und seinem Verhältnis zum Menschen, für das nach morgenländischem Brauch immer wieder der Gegensatz zwischen Herr und Knecht in den Vordergrund tritt, wie auch Luthers Bibelübersetzung deutlich zeigt.

Während für den morgenländischen Menschen die Furcht des Herrn der Weisheit Anfang ist, fühlt sich der nordische Mensch zutiefst durch das seelische Band des Vertrauens mit der Gottheit verbunden. Und so nennen Inder, Griechen und Germanen die Götter Freunde der Menschen. Daher entsprechen auch die Wörter Ehrfurcht und Gottesfurcht, die einst unter dem Einfluss des Christentums bei uns neu gebildet worden sind, zunächst nicht der nordischen Seelenhaltung. Aber die nordische Rassenseele hat sich nach und nach bei der gefühlsmässigen Durchdringung dieser Wörter so durchgesetzt, dass uns heute der Begriff der Furcht im ursprünglichen Sinne darin nicht mehr zum Bewusstsein kommt. Besonders stark wurde dieses Vertrauensverhältnis im germanischen Norden betont, wo geradezu der Ausdruck Vertrauensgott (fulltrui) in zahllosen Beispielen bezeugt ist. Das Vertrauen zur Gottheit liegt wohl vornehmlich darin begründet, dass sie der mächtige Hüter der Ordnung in Welt und Menschenleben war. Daher auch die Dankbarkeit, die Nietzsche vor allem anderen als ein Kennzeichen der griechischen Frömmigkeit hevorgehoben hat.

Was zur Gottheit in Beziehung stand, war geweiht, heilig. Dabei scheint das Wort weihen, dessen Grundbedeutung nicht sicher feststeht, auf heiligen Brauch hinzudeuten, während heilig mit heil, unversehrt, gesund zusammenhängt und zunächst nur auf die Anforderungen hinwies, die man an alles stellte, was der Gottheit dargebracht wurde, bis das Wort dann später seine heutige allgemeinere Bedeutung bekam. Auf die viel umstrittene Frage des Opfers näher einzugehen, müssen wir uns jedoch hier versagen, da die Deutung seiner seelischen Grundlage bisher nicht einwandfrei gelungen oder mindestens nicht allgemein anerkannt ist.

Um so klarer tritt, und zwar im wesentlichen bei den Germanen, eine enge Schicksalsverbundenheit der Götter und Menschen zutage. Götter und Menschen standen nebeneinander, sobald es galt, die Welt der heiligen Ordnung gegen die als Riesen gedachten Mächte der Zerstörung zu verteidigen.

Die Sorge um den Bestand der göttlichen Weltordnung hat in Odin, Wodan, ihre eindrucksvollste Verkörperung gefunden. Er scheint einer bis ins Innerste aufgewühlten Zeit, vielleicht den frühgeschichtlichen Kämpfen um die Zeitwende, in der ganze Völker zugrunde gingen, zu entstammen und durchwandert bis zu ihren äussersten Grenzen die weite Welt, um ihr tiefstes Geheimnis zu ergründen. Wenn wir die germanische Überlieferung der Götterdämmerung mit der persischen vergleichen, die ebenfalls einen gewaltigen Endkampf kennt, so kann uns nicht entgehen, dass zwischen beiden eine tausendjährige Entwicklung liegt, die aus dem einstigen Siege der Götter ihren Untergang werden liess. „Wenn die Götter sterben…..“ heisst es in der Edda. Wo in der Geschichte aller Völker und Zeiten findet sich noch einmal ein Gedanke von so überwältigender Wucht ! Dabei entfaltet sich im Weltuntergang vor den Augen der Germanen ein Kampf von solcher Grösse, dass er ihm zum höchsten Vorbild seines eigenen, heldischen Strebens wurde. Zugleich musste ihm, da der Zeitpunkt des Weltunterganges unbekannt war, die Schicksalsverbundenheit der Götter und Menschen immer wieder fühlbar werden; denn an der Aufrechterhaltung der heiligen Ordnung in der Welt mitzuwirken, war auch seine Aufgabe.

Die Götter selbst zugrunde gehen zu lassen, war allerdings erst möglich, nachdem allmählich eine alles andere überragende Macht in den Vordergrund getreten war: Das Schicksal. Der Schicksalsglaube führt in eine ferne gemeinsame Vorzeit der nordischen Völker zurück. In besonders klarer Ausprägung finden wir ihn bei den Griechen, Römern und Germanen. Ursprünglich, so muss man wohl annehmen, lag das Schicksal durchaus in den Händen der Gottheit, wie es die griechische und wohl auch die römische Überlieferung zeigen. Auch bei den Germanen wird es einst so gewesen sein, worauf noch einige Götterbezeichnungen wie Regin und Metod hinweisen, die nur auf Schicksalsmächte bezogen sein können. Dann aber wuchs das Schicksal über die Götter empor, so dass der Ausdruck Halbgötter, mit dem der gotische Geschichtsschreiber Jordanes im 6. Jahrhundert das Wort Asen erläutert, wohl nur im Hinblick auf diese Unterordnung unter eine höhere Macht zu verstehen ist. Bei der Deutung des nordischen Schicksalsbegriffes muss man von allem absehen, was dem lähmenden Verhängnisglauben etwa des Mohammedaners ähnlich ist. Und aus einer oft angeführten Stelle des Hamdirliedes der Edda, „Niemand sieht den Abend, wenn die Norne sprach“ , darf man nicht auf eine grundsätzlich düstere Weltanschauung der Germanen schliessen.

Zum richtigen Verständnis führen uns vielmehr die Wörter, die in den germanischen Sprachen das Schicksal bezeichnen. Da ist zunächst Wurd – Schicksal, zugleich der älteste überlieferte Name einer Norne, von „werden“ abgeleitet, und bedeutet schlechthin den Fluss des Geschehens. Weiter haben wir Sköp – schaffende Kraft, das zu Skap – Gestalt, Mass, Sinn gehört, also das Schicksal als das Schaffende, Gestaltende, Sinngebende; und schliesslich Orlög, das soviel wie Grundgesetz ist und damit tiefer als alle anderen Bezeichnungen an das eigentliche Wesen des Schicksals rührt. Die Gleichung Schicksal=Grundgesetz zeigt, dass unseren Ahnen die Erkenntnis einer das Schicksal des Menschen wesentlich bestimmenden angeborenen Kraft aufgegangen war. So ist das Schicksal dem Germanen äusseres und inneres Wirken zugleich.

Dass die Erkenntnis einer solchen Kraft, die wir heute Erbanlage nennen, in der Frühzeit unserer Rasse möglich war, beweist der Ausspruch des Heraklit: „Der Charakter ist das Schicksal des Menschen“ ), beweist ferner die Tatsache, dass die germanischen Schicksalsfrauen, die Nornen, die den griechischen Moiren und den römischen Parzen entsprechen, am Brunnen des Lebens sitzen und so den Gedanken versinnbildlichen, dass die Grundrichtung unseres Lebensschicksals bereits mit unserer Geburt vorgezeichnet ist. Und die Sage vom nordischen Nornagest, der die Kerze, an die sein Leben geknüpft ist, sorgfältig hütet und erst im hohen Alter freiwillig verglimmen Iässt, zeigt, dass der Germane sich bei der Gestaltung seines Schicksals als mitwirkend fühlte. Wenn das Schicksal für uns heute unter christlichem Einfluss kaum noch eine religiöse Gefühlsbetonung hat, vor allem wohl, weil wir mit der Gottheit einen sehr menschlichen Begriff der Persönlichkeit verbinden, so darf uns das den Weg zu einer gerechten Würdigung dieser Entwicklung der germanischen Frömmigkeit nicht versperren. Sie entspricht auch so noch durchaus der berühmten Begriffsbestimmung, die einst Schleiermacher gegeben hat: „Religion ist das Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit von einer höheren Macht.“ Nirgends aber in der Welt ist der religiöse Schicksalsgedanke so eng mit heldischer Weltanschauung verbunden wie bei den nordischen Völkern, vor allen den Germanen. Die besondere Art ihrer Frömmigkeit hat Hans Günther in die schönen Worte gefasst: „Fromm sein heisst Verehrung des Göttlichen aus heldisch gefasstem Gemüt.“

Ihren erhabensten Ausdruck findet diese Frömmigkeit, sobald der Held vom Schicksal vor die Bewährungsprobe gestellt wird. Wenn daher der alte Hildebrand den schwersten seelischen Widerstreit erlebt, den es für einen Germanen geben konnte, nämlich den zwischen Ehre und Sippe, und sich nach hartem innerem Kampfe für die Ehre entscheidet, so kann die seelische Grösse einer solchen Entscheidung und der ihr zugrunde liegenden Weltanschauung nicht åbertroffen werden. Damit haben wir Sippenfrömmigkeit, Naturfrömmigkeit, Gottvertrauen und heldische Bewährung im Schicksal als die seelischen Grundformen der nordisch-germanischen Religion erkannt, alle vier eingebettet in die heilige Ordnung der Welt und des Menschenlebens, die uns alle umfängt und uns zugleich für ihre Aufrechterhaltung mitverantwortlich macht .

Über diese germanische Welt und ihre in der Seele wurzelnde Frömmigkeit kam nun in der Völkerwanderungszeit das morgenländische Christentum. Dieses Christentum war eine dem Germanen so wesensfremde Macht, dass es eine Umwertung aller Werte und daher auch eine völlige Verschiebung im Hochziel des Lebens bewirkte: An die Stelle des Helden trat der

Heilige. Wir können uns heute nicht mehr vorstellen, in welcher seelischen Verfassung der germanische Krieger vor das Taufbecken getreten ist, um die fremde Lehre anzunehmen. An Selbstauflösung der germanischen Religion darf man dabei ebensowenig denken wie an eine religiös-sittliche Überlegenheit der Sendboten Roms. Das zeigt die Überlieferung deutlich genug. Wir müssen die Hauptursache vielmehr an anderer Stelle suchen. Die meisten ost- und westgermanischen Stämme waren damals aus ihrer alten Heimat und damit aus der Verwurzelung der Sippen in dem von den Vätern ererbten Boden herausgerissen und in den neu besetzten Ländern als führende Schicht über weite Gebiete mit fremder Bevölkerung zerstreut. Diese Loslösung von den heiligen Bergen, Hainen und Quellen der Ahnen samt der Lockerung der Sippenverbände musste in einer Zeit, deren Frömmigkeit eng mit geheiligten Gemeinschaftsbräuchen verknüpft war, eine Lockerung aller seelischen Bindungen nach sich ziehen.

Daher sehen wir auch, dass die Sachsen, die in der alten Heimat geblieben waren und ihre Sippenverbände gewahrt hatten, den Bekehrungsversuchen der Franken zähesten Widerstand leisteten, bis sie endlich nach dreissigjährigem blutigem Ringen zu Boden geworfen wurden. Im übrigen verstanden es die Bekehrer fast überall, zunächst die Führer des Volkes zu gewinnen, die alsdann unter Einsatz politischer Machtmittel das Werk vollendeten.

Die Bekehrung führte im Laufe der Zeit eine solche Umwandlung des Denkens herbei, dass es uns noch heute nicht leicht fällt, einen ausserchristlichen religiösen Tatbestand gerecht zu beurteilen, weil sich der Einfluss des Christentums bis in die Begriffsbildung und Entwicklung unserer Muttersprache hinein geltend macht. Alle unsere Wörter für religiöse Erscheinungen, wie fromm, heilig, beten, Gott und andere, sind christlich gefärbt, und wenn wir sie daher auf ausserchristliche Verhältnisse anwenden, geraten wir in die Gefahr, diese misszuverstehen. Wie stark zuweilen die Veränderung des Sinnes sein kann, haben wir bereits an dem Wort Sünde gesehen. Statt vieler weiterer Beispiele sei noch das Wort Hochmut angeführt. Hoher Mut oder in der Grundbedeutung hohe Gemütsstimmung, eine dem Germanen ohne Zweifel rühmlich erscheinende Eigenschaft, stand so sehr im Widerspruch zu der von einem Christen geforderten Demut, dass das Wort Hochmut schliesslich einen tadelnden Sinn bekam. Nur in der Ableitung hochgemut hat sich die alte Bedeutung noch erhalten. Dem Christentum verdankt die Glaubenswelt des Abendlandes auch die Einführung des Teufels, der vor allem in der Zeit der Ketzergerichte und Hexenverfolgungen eine so traurige Rolle gespielt hat. Germanischem Denken lag eine reine Verkörperung des Bösen fern; selbst der nordische Loki und die Riesen waren zunöchst nur Feinde, aber keine Teufel (Heusler). Ferner förderte die Bekehrung überall die Rassenmischung, die das innere Gleichgewicht der nordischen Rassenseele schwer gefährdet hat; sie brachte weiterhin die mittelalterliche Weltflucht sowie die Abtötung des Fleisches und verlegte den religiösen Schwerpunkt in das Jenseits.

Andererseits begann aber auch die nordische Seele frühzeitig auf das Christentum einzuwirken und es in Laufe der Jahrhunderte immer mehr einzudeutschen Ein Beispiel dafür finden wir in der altsächsischen Helianddichtung, die Jesus als germanischen Heerkönig und die Jünger als seine Gefolgschaft mitten in ein niedersächsische Landschaft hineinstellt. Sodann haben unsere Altvorderen in die grossen christlichen Feste, Weihnachten, Ostern und Pfingsten, die ohnehin an germanische Jahresfeste angelehnt sind, die ganze Gemütstiefe hineingelegt, der sie überhaupt nur fähig waren. Eine besonders innige Verschmelzung deutschen und christlichen Wesens zeigt die deutsche Kunst, von der ehrwürdigen Grösse gotischer Dome und der stillen Hoheit ihrer Bildwerke an bis zur unergründlichen Tiefe Bach’scher Kirchenmusik. Hier haben sich nordischer und christlicher Geist zu eine untrennbaren Einheit zusammengefunden; und diese Werke werden für alle Zeiten Gipfelpunkte deutscher Schaffens bleiben, auch wenn unsere religiöse Entwicklung einmal andere Bahnen einschlägt.

Indessen hat all die Jahrhunderte hindurch zwischen nordischer Seele und christlichem Glauben auch eine Spannung bestanden, die von Zeit zu Zeit das religiöse Leben unseres Volkes erschütterte. Sie war es, die einen Meister Eckhart, einen Luther und viele andere dazu trieb, mit dem morgenländischen Geiste zu ringen, um die fremde Lehre mit der eigenen Seelenhaltung in Einklang zu bringen. Und da wir uns heute unserer Eigenart wieder mehr bewusst werden, macht sich diese Spannung jetzt besonders bemerkbar, wie die religiösen Entwicklungen unserer Tage lehren. Auf der einen Seite steht die beinahe zweitausendjährige Geschichte einer Lehre, die in der Erlösung von dieser Welt gipfelt; auf der anderen die Haltung einer Rassenseele, der es göttlicher Auftrag ist, diese einzige ihr gegebene Welt zu gestalten. Nun hat man jüngst versucht, die Philosophie heranzuziehen, um darzutun, dass die Werte und Wertmassstäbe der Rassenlehre und der auf ihr aufgebauten Weltanschauung der letzten Gültigkeit ermangelten, weil sie nicht im Übersinnlichen, Transzendenten, wurzelten. 13) Das sei der unvermeidliche Nachteil einer jeden Diesseitsreligion – wofür übrigens richtiger Wirklichkeitsreligion zu sagen wäre -, im Gegensatz zu dem im Jenseits verankerten Christentum. Hierzu ist folgendes zu bemerken:

Der Jenseitsglaube der Vergangenheit beruhte auf der Vorstellung, dass irgendwo im Weltenraume jenseits des blauen Himmelsdomes das Paradies liege, in das die frommen Menschen nach ihrem Tode aufgenommen würden. Wie weit dieser schlichte Glaube vor der Wissenschaft zurückgewichen, und was an seine Stelle getreten ist, brauchen wir hier nicht zu erörtern. Es genügt festzustellen, dass der philosophische Begriff des Übersinnlichen, Transzendenten, mit solchen Raumvorstellungen nichts zu tun hat. Er meint vielmehr das Reich der allgemeingültigen Werte, deren wir uns in und an der uns gegebenen Wirklichkeit bewusst werden, und die der eigentliche Gegenstand der Philosophie sind. Diesem Reiche entstammt auch die oberste Richtschnur unseres sittlichen Handelns, das Pflichtbewusstsein. Der Grundsatz des Pflichtbewusstseins mit allem, was sich daraus ableiten Iässt, ist jedoch rein formaler Art. Inhaltliche Bestimmungen können immer nur durch Heranziehung der natürlichen und geschichtlichen Gegebenheiten der Rasse und der Gemeinschaft gewonnen werden, wie vor mehr als einem Menschenalter Wilhelm Windelband in besonders klarer und überzeugender Weise dargetan hat. 14) Mit diesem Hinweis dürften Forderungswerte der nordischen Seele und ihrer Weltanschauung, wie Ehre und Treue, Tapferkeit und Einsatzbereitschaft, wohl auch als philosophisch genügend gesichert gelten. Ihre kritische Untersuchung und Ableitung würde über den Rahmen einer rassenseelenkundlichen Betrachtung, wie die unserige es ist, hinausgehen. Das gleiche gilt für die Frömmigkeitswerte, mit deren Aufzeigung wir es hier allein zu tun haben.

So haben wir in Germanentum und Christentum zwei religiöse Kraftfelder vor uns, die über ein Jahrtausend lang in enger Wechselwirkung gestanden haben, heute aber wieder selbständige Grössen geworden sind.

Dabei wird die religiöse Haltung der nordischen Seele von wachsender Bedeutung sein, weil die Vielheit seelischer Kräfte erst durch das Band der Frömmigkeit zu einer letzten Einheit zusammengefasst werden kann. Und wenn Religion im tiefsten Grunde Glaube an einen letzten Sinn des Daseins ist, so entnehmen wir daraus die Forderung, die edelsten Kräfte, die uns ein gütiges Schicksal verliehen hat, zu entfalten, zu mehren und in den Dienst des Lebens und Überlebens unseren Erbgutes zu stellen. Dass wir mit solchem Tun auf dem rechten Wege sind, das ist unser heiliger Glaube.