Die nordischen Felsritzungen entstanden nach Almgren im Zusammenhang mit Kulthandlungen im Dienst der Sonnenverehrung und des Fruchtbarkeitsgedankens. Dabei wurden auch Bilder der Sonne herumgetragen, gefahren oder aufgestellt. Diese Sonnenbilder nun sind nach meiner Meinung aus unmittelbarer Himmelsbeobachtung entstanden. Die farbenprächtigen Sonnenhöfe und Haloerscheinungen gaben Anlaß zu Festen. Die am Himmel geschauten Bilder wurden nachgeformt, bei den allgemeinen Licht- und Fruchtbarkeitsfeiern als Festtagsschmuck der Sonne beibehalten, wahrscheinlich auch mit bunten Blumen usw. farbig gestaltet, wie wir es ähnlich bei der Pfingstqueste, dem Sommertagsstecken usw. heute noch im Volksbrauch finden. Als Nachklang solcher Sonnenfeste entstanden Felsritzungen , sei es, um die Erinnerung der Nachwelt zu erhalten, sei es auch aus „magischen“ Gründen (vgl. die eingestreuten „Elfenmühlen“!).
Für Ursache und Art der Entstehung der Sonnenbilder im allgemeinen gibt es verschiedene Deutungen. So hört man z. B., es handle sich vielfach um Beobachungen des Sonnenlaufes. Die aus konzentrischen Kreisen aufgebauten Bilder sollen Darstellungen der verschieden großen Laufbögen des Gestirns während eines Jahres sein, während man hinter den 4-, 6- und 8-speichigen Sonnenrädern eine Aufteilung des Jahresringes nach ähnlichen Gesichtspunkten vermutet, also gar nicht an eigentliche Sonnenbilder denkt. Beim 4-speichigen Rad, dem wohl bekanntesten und häufigsten unter den alten Sonnenbildern, hat sich die Vorstellung des über den Himmelsbogen rollenden Sonnenrades durchgesetzt. Daß auch damit eine durchaus nicht selbstverständliche gedankliche Weiterentwicklung des einfachen Sinneseindrucks verbunden ist, das kommt uns heute meist gar nicht mehr zum Bewußtsein. Es wird aber wohl das beste sein, für die Entstehung der Sonnenbilder die gleichen Grundsätze gelten zu lassen wie für die übrigen Sinnbilder, welche doch ebenso wenig irgend welchen geometrischen Konstruktionen oder gedanklichen Abstraktionen entsprungen sind, sondern den Niederschlag dessen darstellen, was das körperliche Auge sah, das Herz verarbeitete und die Hand zu kultischen oder magischen Zwecken nachbildete. Das gilt für Zwiesel und Donarbesen, wie ich an anderer Stelle (18) nachzuweisen versuchte ebenso wie für den Dreisproß, den Lebensbaum und andere. Es schließt selbstverständlich die Fortentwicklung zu Heilszeichen, die sich in Form und Sinngehalt oft weit von ihren Urformen entfernen, nicht aus.
Betrachten wir, wie ein Kind seine Sonne in die Landschaft setzt! Da sehen wir eine Scheibe oder einen kleinen Kreis mit mehr oder weniger langen und zahlreichen Strahlen verziert, so wie wir auch auf Bauernmöbel, Schnitzereien im Gebälk alter Fachwerkbauten usw. unsere gute Mutter Sonne in gleicher Weise antreffen, ja schon auf Tongefäßen der jüngeren Steinzeit (Abb. 15) neben anderen der Natur entnommenen Sinnbildern wie Tanne (Lebensbaum) usw. Kossinna (4) nimmt in der Tat an, die Sonnenstrahlen seien die Vorläufer der Speichen im Sonnenrad gewesen. Die Betrachtung der Mitternachtssonne soll dazu der Anlaß gewesen sein, sie als einen mächtigen Strahlenkranz nachzubilden, aus dem sich dann das Rad entwickelt habe. Aber gerade die ältesten Urkunden für solch‘ radförmige Sonnenbilder, die Felsritzungen Skandinaviens, ergeben keinerlei Anhaltspunkte dafür, im Gegenteil, wir sehen dort von Anfang an neben Scheibe und Ring das fast ausschließlich vierspeichige Sonnenrad. Woher stammt nun diese allem Anschein nach nicht abgeleitete sondern ursprüngliche Form? Dem einfachen Menschen der jüngeren Stein- und Bronzezeit ist ja kaum die Vorstellung zuzumuten, daß die goldglänzende Scheibe sich in rollender Bewegung befinde, nachdem doch das körperliche Auge nicht die leisesten Andeutungen einer solchen Drehung wahrnehmen kann.
E. Jung (3) will diese Schwierigkeit in anderer Weise als Kossinna vermeiden: „Die Bewegung des Himmelslichtes, das Nächstauffällige nach seiner Leuchtkraft und seiner Wärme, kann nur sinnbildlich dargestellt werden. das rollende Rad ist das einfachste Bild dafür.“ Ähnlich Buschan (14). Das klingt recht einfach und würde m. E. noch gestützt durch alte Sonnenzeichen wie Scheibe, Ring mit Punkt, Radkreuz, welche in dieser Reihenfolge betrachtet die Entwicklung des Rades von der Baumscheibe zum Felgenrad mit Nabe und Speiche wiedergeben. Bei der ungeheuren Bedeutung dieser Erfindung wäre ein Einfluß auf die Herausbildung der ältesten Sonnenzeichen wohl denkbar. Aber auch der Ausweg, nicht die Sonne selbst sondern nur ihr Sinnbild in rollender Bewegung zu denken, befriedigt m. E. nicht ganz.
Es soll deshalb im folgenden versucht werden, alle auf den Felsritzungen vertretenen Sonnenbilder in einfachster Weise abzuleiten, nämlich aus unmittelbarer Naturbeobachtung am nordischen Himmel.
Es wird nötig sein, zunächst einiges über diese Felsritzungen zu sagen, wobei ich mich in erster Linie an die grundlegenden Arbeiten von Oskar Almgren (1) halte. Für die Auswertung dieser Bilder ist wichtig zu wissen, daß Almgren in ihnen den Niederschlag von Kulthandlungen, religiösen Feiern und Umzügen erblickt. Da werden Sonnenbilder und solche von Gottheiten mitgetragen, auf Schiffen mitgefahren oder auch aufgestellt, während andere von Menschen in Adorantenstellung umgeben sind.
Wenn wir die Sonnenbilder im einzelnen betrachten, so finden wir als einfachste Darstellung die völlig ausgefüllten, besser gesagt ausgehöhlten Scheiben. Sie bedürfen keiner weiteren Erläuterung, wenn wir von der später zu erörternden Möglichkeit von Monddarstellungen absehen.
Daneben tauchen aber Ringe auf sowie Kreise, welche oft ein Scheibchen oder einen kleineren Kreis einschließen. Sie leiten über zu jenen Sonnenbildern, die aus einer mehr oder weniger großen Zahl konzentrischer Kreise bzw. Ringe aufgebaut erscheinen.
Nach Zahl und Größe beherrschen aber die Radkreuze das Feld. Es sind fast ausschließlich solche mit 4 Speichen. Am auffallendsten unter ihnen sind jene, welche in einem zweiten großen Kreis zu schweben scheinen, manchmal sogar von einem dritten umgeben sind. Sie wurden auf langen Stangen getragen oder auf hohen Gestellen zur Schau gebracht. Es sind dies die wichtigsten und eigenartigsten Sonnenbilder der nordischen Felszeichnungen, denn gerade sie zeigen ihre Herkunft vom nordischen Himmel besonders deutlich, wie wir im folgenden sehen werden.
Der einfachste Eindruck, den die Sonne auf den Beschauer macht, ist der einer Scheibe. Als solche finden wir sie auch abgebildet, gelegentlich sogar in deutlicher Beziehung zu Kulthandlungen (Abb. 1). Diese Bilder bringen, wenn ich so sagen darf, die „Alltagssonne“. Es ist deshalb zu verstehen, daß sie im Kult von den sogleich zu besprechenden Bildern in den Hintergrund gedrängt wurden. Die Sonne hatte ja auch ihre Festtage, an denen sie sich mit besonderem Prunkgewand schmückte. Dies reizte mehr zur Nachbildung.
Dazu gehören die sogenannten Sonnenhöfe, auch Kränze genannt (10). Man versteht darunter farbige Ringe um Sonne (oder Mond). An der Lichtquelle schließt sich unmittelbar ein farbiger Hof, die Aureole, die innen bläulich, außen rot gefärbt ist. Es können sich aber unter günstigen Umständen noch mehrere solcher farbiger Ringe anschließen. Diese Erscheinung zeigt sich bei uns oft nur als heller Schein, ist aber auch dann sehr auffällig. Sie ist auf Brechung des Lichtes an Eiskristallen oder Wassertropfen zurückzuführen. Die Ringe sind bei bevorstehendem guten Wetter groß, andernfalls klein.
Jede Folge farbiger Ringe, die mit Rot abschließt, bezeichnet man als eine Abteilung und kennt Kränze mit drei und mehr solcher Abteilungen, was mindestens einem Dutzend von Farbringen entspricht (3 blaue, 3 gelbe usw.). „Es gibt Kränze von sehr geringer Schönheit… dagegen sieht man auch wunderschöne Kränze, die in ihren Farbentönen rein und leuchtend sind und durch die Abstufungen in den Farben der aufeinanderfolgenden Ringe stets einen besonderen Eindruck auf den Beobachter machen“(16).

Eine ähnliche Erscheinung kann sich zeigen, wenn der Schatten des Beobachters, der sich auf einem Berg befindet (10), auf eine Wolkenwand oder Nebelschicht fällt. Man gewahrt um den Schatten (Brockengespenst) herum farbige Ringe von den gleichen Eigenschaften wie bei den „Kränzen“. Diese Erscheinung wird „Glorie“ oder nach ihrem ersten Beobachter „Ulloas Ring“ genannt. Sie ist besonders bei tiefstehender Sonne zu sehen.
(Der Bishopsche Ring, eine im Zusammenhang mit starken Vulkanausbrüchen auftretende, durch die in große Höhen geschleuderten Aschenmassen hervorgerufene Erscheinung, kann wohl außer acht bleiben.)
Sind die Sonnenhöfe usw. an sich schon sehr auffällig, so werden sie noch betont durch die Tatsache, daß diese Ringe meist farbig sind. Gerade dies scheint mir für die Wertung dieser Erscheinung sehr wichtig. Wenn schon die Farbenpracht und der kühne Schwung des Regenboges uns nüchterne Menschen von heute immer wieder in seinen Bann zieht, um wieviel mehr mußten solche Ringe, häufig in mehrfacher Anordnung um die goldene Sonnenscheibe gelegt, den Sinn der frühen Menschheit erregen. Man sah darin wohl das Festkleid, das sich die Sonnengottheit aus besonderem Anlaß umlegte, dem deshalb auch besondere Bedeutung zukam und das so in den Kult einbezogen wurde, um so mehr als, wie wir hörten, solche Kreise die Vorboten von schlechtem bzw. schönem Wetter sind: je größer der Ring desto schöneres Wetter konnte erwartet werden. Vielleicht hat diese Beobachtung die Größenverhältnisse bei der Anfertigung der Sonnenbilder für den festlichen Umzug beeinflußt.
Was in dem Gemüt jener „Urkinder Gottes“ vorging, verstehen wir einigermaßen, wenn wir bei E. M. Arndt (Nordische Volkskunde) lesen, wie im heutigen Schweden „Männer und Greise, welche alle Länder Europas und Indien und Amerika durchreist sind, von dem Schimmer und Glanz der Farben gereizt und erfaßt werden, wie sie bei buntem Spielzeug und blanken Kleinigkeiten gleich kleinen kindischen Kindern stehen und gaffen und betasten und nicht fort können, sondern kaufen und bezahlen müssen, bis der letzte Heller aus der Tasche ist“. Oder wenn wir sein mit überschwenglichen Worten geschriebenes Kapitel über „Das schwedische Licht“ im gleichen Büchlein lesen. Dann verstehen und glauben wir ihm, daß er „verzaubert“ war, und dürfen dies auch von jenen Vorfahren der heutigen Skandinavier annehmen, denen wir die Felsritzungen verdanken. Da ruhte wohl beim Auftreten solcher Sonnenphänomene die Arbeit, es wurde zum Fest und kultischen Umzug aufgerufen, die mit Furcht oder Hoffnung geschaute Erscheinung nachgebildet, wahrscheinlich auch mit Hilfe dessen, was die Natur bot, farbig gestaltet und schließlich zur Erinnerung oder auch aus magischen Gründen in den Fels geritzt.
Zu solchen Bildern rechnen wohl in erster Linie jene, welche aus kleinen Scheibchen mit umbeschriebenem großem Kreise bestehen. Die eigentümlichen Rondelle auf mehreren Schiffen der großen Ritzung von Lökeberget (Abb. 10) erklärt Almgren aus dem kleinen Maßstab. Der die scheibenförmig gezeichnete Sonne umgebende Kreis ist nur in einem Falle geschlossen, während er in den übrigen unmittelbar in die beiden Abstriche übergeht, welche die Tragstützen andeuten, so daß der Kreis unterbrochen erscheint. Sie gehen auf die Beobachtung einfacher Sonnenhöfe zurück. Die im Verhältnis zu den Höfen recht kleine Sonne wurde in manchen Bildern sogar ganz weggelassen. Ich möchte nämlich hierher auch die einfachen Ringe rechnen. Sie waren als Kultbilder siche sehr groß gestaltet. Auf Abbildung 2 und 3 b sehen wir solche von nicht weniger als drei Stangen getragen! Es handelt sich also kaum um die Darstellung des Sonnenscheibenrades, sondern um Sonnenräder ohne Speichen, entstanden aus solchen Höfen. Die im Vergleich mit den oft riesigen Ringen recht winzige „Alltagssonne“ konnte bei der Nachbildung wegbleiben, weil nur die auffallende farbenprächtige und seltene Erscheinung des Hofes selbst die Erregung und damit auch das Fest ausgelöst hatte. Das gleiche gilt für jene Sonnenbilder, welche aus zwei konzentrischen Ringen bestehen, wie eines in Abbildung 4 zu sehen ist, auf dem offenbar eine „Elfenmühle“ in den inneren Kreis geraten ist, während auf Abbildung 5 drei Ringe noch deutlich ein Scheibchen einschließen. Die aus drei oder mehr Ringen aufgebauten Bilder könnten auch der Glorien-Erscheinung zugerechnet werden. Doch halte ich das nicht für wahrscheinlich, da bei diesem Phänomen, das meist nur wenigen gleichzeitig sichtbar wird, in der Mitte der farbigen Ringe die Gestalt des Beobachters in das Riesenhafte verzerrt zu sehen ist (Brockengespenst), was in den Felsbildern sicherlich Ausdruck gefunden hätte. Wir werden also am besten wohl auch die Sonnenbilder mit mehreren Kreisen (Abb.11) auf Sonnenhöfe (Aureolen) zurückzuführen, die ja, wie wir oben hörten, auch mit mehreren Ringen auftreten können. Bei starker Vermehrung der Kreise in einem Sonnenbild ist wohl, abgesehen davon, daß der Beobachter die wirklich vorhanden gewesenen Kreise wohl kaum gezählt bzw. im Gedächtnis behalten hatte, in erster Linie an eine bewußte oder unbewußte Häufung der Ringe aus magischen Wünschen heraus zu denken. Spätere, als Schmuckelemente verwendete Sonnenbilder zeigen oft eine derart große Zahl konzentrischer Ringe, daß dann wohl das künstlerische Bestreben, den Raum aufzulösen, den Ausschlag gab.
Während die bisher behandelten Sonnenbilder meist auf Schiffen gefahren oder an Stangen getragen wurden, denkt Knellmark (Fornvännen 1909) nach Almgren bei den mächtigen Figuren der Zeichnung von Hjulatorp (Abb.11) an Entsprechungen zur bekannten Sonnenscheibe von Trundholm. Er weist darauf hin, daß die besterhaltene von ihnen mit einem Bügel versehen ist, welcher der Öse der Trundholmer Scheibe entsprechen dürfte. Er vermutet weiter, daß die vier Räder neben dieser Scheibe einen Wagen andeuten sollen, der das Sonnenbild trug. Und dieses ist aus nicht weniger als neun konzentrischen Kreisen aufgebaut.
Auf einem Bild in Finntorp, Tanum (Abb. 6) finden wir ein mit Tragstützen versehenes und von Adoranten begleitetes Sonnenbild, das als Spirale gezeichnet ist. Dieser auf den Felsritzungen, soweit sie meiner Durchsicht in der in der Literatur zugänglich waren, sehr seltene Fall läßt sich m. E. nicht, wie das bei ähnlichen Darstellungen späterer Zeit meist geschieht, als Konstruktion des jährlichen Sonnenlaufes vom kleinsten zum größten Bogen erklären. Die Abbildung 6 entspricht völlig einem aus konzentrischen Ringen aufgebauten Sonnenbild von Skälv (Abb. 5), das ebenfalls von einer seitlich angebrachten Stütze getragen wird. Ich vermute deshalb, daß diese Spiralen wenigstens hier die zeichnerische Fortentwicklung aus Kreisen sind. Man darf m. E. in solche Bilder nicht zu viel hineingeheimnissen. Wir kommen auf diese Frage nochmal kurz zurück.
Bezüglich des späteren Eindringes dieser Sonnenbilder – Scheiben, Kreise, Spiralen – in Kunst und Brauchtum der einzelnen Völkerschaften muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden, desgleichen bezüglich der Fage ihrer Fortentwicklung und Übernahme durch das Christentum, z. B. Aureole-Heiligenschein (14). Nur an eine bemerkenswerte Darstellung aus der jüngeren Eisenzeit sei erinnert. Auf schlesischen Urnen finden sich neben dem Dreischenkel u. a. „rote Scheiben mit braunem Saum, buntem Kranz und einigen Strahlen“ (14). Es ist dies wohl ein nachklang der, wie wir oben hörten, ursprünglich farbig ausgeführten und im Festzug mitgetragenen Sonnenbilder. Vielleicht gehören hierher auch die heute noch in der Gegend von Troja gebräuchlichen Malereien an den Friesdecken „neben dem Dreibein kleinere rote und blaue Punkte, die konzentrisch um einen größeren runden Fleck herumliegen“ (14). Man vergleiche hierzu die zu einem Kreis zusammengestellten Punkte auf Bild 11, oben in der Mitte.
Eine wenigstens für unsere Breiten viel seltenere, dafür um so eigenartigere und herrlichere Erscheinung ist der sogenannte Halo. (Abbildung 16 bringt eine schematische Darstellung aus dem Handwörterbuch, Abbildung 17 ist aus Pernter-Exner [16] genommen.) Bei dieser (10) „nicht gerade häufigen“ Naturerscheinung verläuft im Abstand von 22º von der Sonne um diese herum ein heller Kreis, der sogenannte Halo. An ihm zeigen sich unter Umständen „Nebensonnen“ in der Höhe der Sonne selbst. Sie sind auf der ihr zugekehrten Seite rot, dann gelb und grün und laufen nach außen in einen weißen Schweif aus. Auch der kleine Halo selbst zeigt diese Farben, wenn auch weniger kräftig. Außerdem trägt er oft oben und unten hörnerartige Fortsätze, die sogenannten oberen und unteren Berührungsbogen. Diese Hörner können sich bei steigender Sonne um den kleinen Halo herumschließen, so daß ein neuer, diesem umbeschriebener Kreis entsteht. Seine besondere Eigenart und Auffälligkeit erhält aber der Halo durch das Hinzutreten des durch Reflexion entstehenden weißen Horizontalkreises, der die ganze Erscheinung quer durchschneidet, sowie durch die sogenannten Lichtsäulen, d. s. helle oft sehr stark leuchtende Streifen, die von der Sonne nach aufwärts bzw. nach abwärts verlaufen. So entstehen die Kreuze, deren Schnittpunkte die Sonne ist. Dadurch, daß die Säulen sichtbar werden können, ehe die Sonne über dem Horizont steht, und dann oft rot gefärbt erscheinen, erregen sie in hohem Maße die Aufmerksamkeit des Beobachters.
Zu dieser Erscheinung kann in Entfernung von etwa 46 Grad von der Sonne eine zweite ähnliche hinzutreten. Man spricht dann vom großen Halo.
Der kleine Halo entsteht durch Brechung des Lichtes an den in der Luft schwebenden Eisplättchen, der große wird in ähnlicher Weise durch säulenförmige Eiskristalle hervorgerufen, während die Lichtsäulen durch Spiegelung an den Eisplättchen erzeugt werden. „Deshalb tritt das sogenannte Halo-Phaenomen gerade in den Polargegenden, wo die Luft fast immer von Eiskristallen erfüllt ist, am häufigsten und vollständigsten auf. Nicht selten zeigen sich daselbst sogar mehrere Ringe um die Sonne …, so daß ein geometrisches Gebilde in der Polarluft zustande kommt, das durch Harmonie und Farbenschmuck der Linien unsere Bewunderung erregt“(7).
Wir dürfen also das Auftreten der besprochenen Erscheinung um so häufiger und schöner erwarten, je weiter wir aus unseren Breiten nach Norden wandern. Dabei kommen wir gleichzeitig in jene Gegenden, in welchen der tägliche Laufbogen der Sonne einen immer spitzeren Winkel mit dem Horizont bildet, so daß sich das Gestirn monatelang nur wenig über ihn erhebt. Damit wird eine zweite wichtige Erscheinung begünstigt, das Entstehen der Kreuze im Halokranz, welche besonders bei tiefstehender Sonne sichtbar werden.
Andererseits wissen wir aber auch, daß sie gelegentlich sogar weit im Süden auftreten können. Chronisten aller Zeiten haben sie gewissenhaft aufgezeichnet, das Volk aber mit abergläubischer Scheu betrachtet als Zeichen des Himmels für bevorstehende schreckliche oder glückliche Ereignisse. Am bekanntesten wurde das Kreuz des Constantins, das dieser als Labarum in seine Fahne aufnahm. Die uns überlieferten atmospährischen Begleitumstände – der Himmel war mit einem grauen Schleier bedeckt und es gab bald darauf Regen – lassen deutlich erkennen, daß es sich um eine Haloerscheinung handelte(15).

Wenn nun schon die oben erwähnten gewöhnlichen Sonnenhöfe Anlaß zu Bewunderung und Nachbildung gegeben haben, um wieviel mehr mußte das beim Auftreten eines Halo der Fall sein, wenn zur Farbe sich die eigenartige Form gesellte. Bleiben wir zunächst beim kleinen Halo. Diesem entspricht das einfache Radkreuz, das sich in zahlreichen Fällen einwandfrei als Kultbild erweist. So zeigt Almgren z. B. eines, das drei Mann halten, ein weiteres, das von zwei Männern in Adorantenstellung umgeben ist. (Alle Bilder aus Tanum). Vielfach ist das Radkreuz an einer oder mehreren Stangen befestigt, zum Fahren auf einem Schiff (Abb. 7), oder zum Tragen bzw. Aufstellen (Abb. 3a). Daß bei der Nachbildung dieser Erscheinung die Sonne selbst fast immer unterdrückt wurde, hatte wohl den gleichen Grund wie bei der Nachformung der Sonnenhöfe (s. o.). Nur auf einem Bild von Finntorp und einem von Aspeberget fand ich am Schnittpunkt der vier Speichen ein Scheibchen angedeutet, in dem mächtigen achtspeichigen Rad von Stora Backa (Abb. 12) eine verhältnismäßig große. Diese Unterdrückung der Nabe würde sicher unterblieben sein, wenn sie den „Weltnagel“ hätte darstellen sollen. Aber die von O. S. Reuter (6) gegebene Ableitung des Himmelsrades mit dem Weltnagel vom Kreisen der Gestirne um die Weltachse, das wenigstens im hohen Norden einigermaßen prarallel zum Horizont stattfindet, scheidet für unsere Felsbilder wohl gänzlich aus. Es müßten dann ja auch diese Räder nicht lotrecht stehend, sondern waagrecht, d.h. liegend dargestellt sein, was allerdings dem Ritzer erhebliche Schwierigkeiten bereitet hätte. Aber die Tatsache, daß eine Reihe von Bildern durch mehrere am Radkranz befestigten Stangen getragen werden, zeigt deutlich, daß eine waagerechte Lage nicht in Frage kommt.
Ob die oft eingestreuten kleinen Radkreuze (ohne sichtbaren Hinweis auf ihren Charakter als Kultbilder) nicht doch schon den ersten Schritt zur Wandlung zum reinen Sinnbild und Heilzeichen darstellen, kann wohl nicht ohne weiteres entscheiden werden.
Diese Weiterentwicklung soll auch hier nicht untersucht werden. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, daß auch das Bild des Sonnenrades unmittelbar der heimischen Natur entnommen wurde. Wenn aber diese Form einmal gegeben war, dann lag schon frühzeitig eine gedankliche Beziehung zum Wagenrad recht nahe, das Sonnenrad konnte so wenigstens in der Vorstellung zum Rollen kommen (E. Jung, s. o.). Auch die Möglichkeit der Vermehrung der Speichen war ohne weiteres gegeben, ohne daß man hinter einer solchen irgendwelche besonderen Absichten vermuten müßte. Unter den von Almgren gebrachten Felsbildern fand ich nur zwei mehrspeichige Räder (Abb. 12). Wir müssen auf diese Frage noch kurz eingehen, um dem Einwand zu begegnen, daß von Anfang an etwa das Wagenrad zum Sonnensinnbild erhoben wurde und so in die Kultumzüge und damit in die Felsritzungen kam.
Die Stange, welche das Sonnenrad trägt, ist immer am Radkranz befestigt, nie an der Nabe selbst. Da es sich um handgreifliche Kultgegenstände handelte, wäre letzteres, falls die Vorstellung des Rollens vorhanden gewesen wäre, recht nahe gelegen, um sie u. U. auch wirklich in Drehung zu versetzen, wie das im Volksbrauch heute noch geschieht. So teilt W. Schulte in Germanien (1941, S. 197) mit, daß beim Sternsingen ein Rad benutzt werde, das in dauernder Drehung gehalten werden müsse. Die Felsritzungen lassen aber keinen entsprechenden Schluß für die Bronzezeit zu. Teilweise sind es ja sogar mehrere Stangen, die das mächtige Sonnenbild tragen. Noch einfacher und sinnfälliger wäre es gewesen, wenn man das Rad selbst gerollt bzw. rollend hätte ziehen lassen. Auch dies finden wir im heutigen Brauchtum noch. So erfahren wir durch Schulte (s. o.), daß in manchen Gegenden an Weihnachten ein Rad durchs Dorf gerollt werde und der gleiche Brauch sich in Skandinavien am Julabend finde, was als kultische Unterstützung des neuen Sonnenlaufes gedeutet wird. Auch die vom Sonnwendfeuer zu Tal gerollten brennenden Räder gehören in diesen Kreis, ferner das in der Pfalz und seiner Nachbarschaft bis in die Neuzeit herein an Fasnacht, Sonnwende usw. geübte „Räderschieben“ (12); eine sonderbare Bezeichnung, die aber wohl mit „schieben“ nichts zu tun hat, denn auch bei diesem Brauch wurden die Räder gerollt. Aber auch für diese Art, das Sonnenbild im kultischen Umzug mitzuführen, haben wir auf den Felsritzungen noch keine sicheren Hinweise, denn die das Sonnenrad umgebenden, manchmal allerdings stark stilisierten Gestalten, sind deutlich dessen Träger. In einzelnen Fällen wird es von mehreren zugleich in die Höhe gehalten. An ein rollendes Rad könnte man m. E. auf den Felsbildern höchstens bei den in der Literatur schon mehrfach wiedergegebenen kleinen Bildchen denken, welche ein von einem Pferd gezogenes Rad zeigen (Abb. 13b). Aber auch hier führt der Strick deutlich zum Radkranz, nicht zur Nabe, was allerdings zeichnerische Ungenauigkeit oder Unzulänglichkeit sein könnte. Alles in allem müssen wir also wohl darauf verzichten, die Vorstellung des rollenden Sonnenrades oder wenigstens den Gebrauch rollender Sonnenbilder schon bis in die Zeit der Felsritzungen zurückzuverlegen. Man formte, trug oder fuhr das Sonnenbild so, wie man es sah, und ritzte es schließlich auch so in den Fels. E. Jung nimmt übrigens selbst an, daß in frühstufigem, kindlich-künstlerischem Veranschaulichungsbedürfnis der pferdebespannte Sonnenwagen den Zweck hatte, „die Bewegung der Sonne am Himmel zu verdeutlichen“. Das zeigt deutlich, daß die Vorstellung des Rollens fehlte. Wann und wo diese zuerst auf das Sonnenbild und vielleicht auf die Sonne selbst übertragen wurde, das wissen wir nicht. Daß sie aber später die Formung der Sinnbilder beeinflußt hat, geht daraus hervor, daß aus dem Sonnenbild mit geraden Strahlen (s. u.) der „Sonnenwirbel“ wurde. Auch die Ableitung des Hakenkreuzes vom Radkreuz liegt ja diese Vorstellung zugrunde. Ähnlich ist es beim Drei- und Vierschenkel.
An dieser Stelle muß noch auf das einfache Kreuz (ohne Felgenkranz) eingegangen werden. Auch dies „findet sich, frei oder im Schiff und seine Weiterbildung zum Kreuz aus Spiralen“ (17). Hermann Schneider faßt es als ein zerbrochenes Rad auf und erschließt aus dem Nebeneinander der Bilder eine Geschichte: „Der Wagen, das Rad, sie zerbrechen im Winter, es bleibt ein gebrochener Wagen, ein Speichenkreuz oder ein Rad mit gebrochenem Rand (Hakenkreuz) … Das Kreuz ist das Symbol der besiegten Sonne.“ Bei den mitunter auftretenden Bildchen, welche ein Speichenkreuz mit Teilen des Felgenkranzes zeigen, könnte man vielleicht an die Darstellung zerbrochener Räder denken, ohne aber der angeführten Deutung folgen zu müssen Wahrscheinlich sind es aber nur unvollständig gebliebene Zeichnungen. Die einfachen Kreuze dagegen möchte ich als Nachbildung der Halokreuze auffassen. Sie entstehen durch Spiegelung an den Eiskristallen und sind deshalb nie farbig, „bald von mildem Schein, bald von blendendem Leuchten. Wohl aber erschienen sie häufig ganz rot, in der Farbe des Abendrotes, was einen besonders schönen Anblick bietet“ (16). Voraussetzung ist, daß entweder senkrecht oder waagerecht fallende Eiskristalle (Plättchen und Säulen) gleichzeitig vorhanden sind, oder daß sich einem Horizontalkreis (als Querbalken) senkrechte Lichtsäulen (als Längsbalken) zugesellen. „Diese Erscheinungen sind wohl diejenigen, die das größte Aussehen und ein an Verblüffung grenzendes Erstaunen hervorgerufen haben“ (16). Es sei an das oben erwähnte Kreuz Konstantins erinnert.
Wenn die Bewölkung ungleichmäßig ist, dann können u. U. nur Stücke der Haloerscheinung sichtbar werden. Hierher möchte ich aber nicht die „zerbrochenen Räder“ rechnen, wohl aber vielleicht einige Ritzungen von Hjulatorp (Abb. 11). Dort ist übrigens auch ein schönes einfaches Kreuz zu sehen sowie einige Zeichnungen, die wohl als Sonderfälle des kleinen Halo am leichtesten zu deuten sind. Ein genaueres Eingehen auf solche Einzelformen und ihre Gleichsetzung mit Himmelserscheinungen ist hier nicht möglich, ihre Mannigfaltigkeit zu groß. Das häuigste allerdings ist der einfache Haloring. Vielleicht sind die oben zuerste behandelten einfachen Ringe (ohne Kreuz usw.) ebenfalls vom Halo abzuleiten, denn die Sonnenhöfe oder Kränze sind meist wegen der starken Blendung durch die Sonne selbst schlecht zu beobachten. Bei den Mondhöfen allerdings fällt diese Störung weg. Zudem sind die Haloerscheinungen bei uns nicht so selten wie meist angenommen wird. In Holland wurden im Verlauf von 7 Jahren nicht weniger als 1689 gezählt. Von diesen werden natürlich die meisten recht unauffällig gewesen sein, so erschien z. B. der gleich noch zu besprechende „große Halo“ nur 38mal, das Kreuz 6mal. Die manchmal stark in die Breite gezogenen, als Queroval gezeichneten Sonnenbilder – Abb. 5 zeigt eines, bei dem diese Abweichung nur wenig hervortritt, bei anderen Ritzungen ist sie sehr auffallend und zweifellos beabsichtigt – zeugen von sehr guter Naturbeobachtung und sind ein weiterer Beweis dafür, daß die Vorlage dazu der Himmel selbst geliefert hat; wenn nämlich solche Erscheinungen in der Nähe des Horizontes auftreten, so sieht sie der Beobachter infolge der Refraktion tatsächlich in dieser elliptischen Form. Es handelt sich also nicht um schlechte, ungeschickte, sondern besonders naturgetreue Darstellungen.
Betrachten wir nun auf der Felsritzung von Stora Backa (Abb. 12) die Zeichnung ganz links oben. Wir haben da nach Almgren „ein Sonnensymbol, das in ritueller Weise herumgetragen wird“. Das Radkreuz scheint in der Mitte eines zweiten großen Ringes frei zu schweben. Die Art der Befestigung hat der Ritzer weggelassen, da es ihm offenbar nur auf die Darstellung des Sonnenbildes selbst ankam, nicht auf die Aufzeichnung technischer Einzelheiten. Auf dem gleichen Felsen sehen wir ganz rechts ein großes Rad, das in ähnlicher Weise an zwei Stangen befestigt ist, die aber hier vom Steven eines Schiffes ausgehen. Dieses Sonnenbild entspricht besonders stark dem großen Halo, während dem Ritzer das dritte in Betracht kommende Bild ganz rechts außen offenbar weniger gut gelungen ist. Bemerkenswerkt ist aber an ihm, daß der Versuch gemacht wird, auch die Befestigung des inneren Rades am äußeren anzudeuten. Recht deutlich springt ferner die Übereinstimmung mit dem großen Halo bei einem Bild von Backa Brastad (Abb. 8) in die Augen, das sehr geschickt und genau geritzt ist. Das Sonnenrad wird von einem Gerüst aus drei Stangen getragen und war offenbar zum Aufstellen bestimmt. Im übrigen tritt der große Halo, weil er mehr den Polargegenden eigen ist, auf den Felsritzungen stark zurück gegenüber dem einfachen Radkreuz. Auf der großen Zeichnung von Hjulatorp in Småland (Abb. 11). z. B. finden wir rechts oben einen Doppelkreis, der von einem Kreuz durchschnitten wird, zwischen andere Sonnenbilder eingestreut.
Da es sich bei diesen Felsritzungen um die Festhaltung ritueller Umzüge usw. gehandelt hat, so dürfen wir erwarten, daß irgendwelche Andeutungen davon sich im Volksbrauch erhalten haben. Tatsächlich lassen sich solche Nachklänge beobachten. „Noch lebende Zeugen handgrifflicher Verwendung des Radkreuzes im Brauchtum des Jahreslaufes sind die archaisch an vier Speichen festhaltenden Osterfeuerräder von Lügde bei Pyrmont und der Pfingstbaum mit Kranz und Querbalken (Qeste) in Questenberg im Südharz“(11). An eine solche Verbindung mit uralten Sonnenbildern denkt auch H. Winter (9), wenn er vermutet, „daß in einer tiefen Brauchtumsschicht der Nickel mit einem leuchtenden sonnenbild an der Stange oder Gabel zu uns kam. Aus nordischen Felszeichnungen kennen wir derartige Sonnenbilder. Sie sind aber auch heute noch im Brauchtum lebendig. Wir erinnern nur an die Sommertagsgabel der Südpfalz, die einen grünen Buchskranz an einem spiralig geschälten Gabelstock trägt“. Hier schließen ferner die schwedischen Sternsinger an (Germanien 1940, S.202), die ein Radkreuz auf einer Stange tragen (vgl. auch oben!).
Auf die Fortentwicklung zum reinen Sinn- und Heilszeichen sowie die späteren Beziehungen zum christlichen Kreuz kann hier nicht eingegangen werden. Eine solche Übergangsstufe sehen wir auf jenem Bronzeanhänger, der in Mittelfrankreich gefunden wurde und aus der späteren Bronzezeit stammt (Abb. 9). Er stellt ein von einem Kultboot getragenes Radkreuz dar. Drei Achsenenden weisen kleine Ringe auf. Er sollte wohl ebenso eine „magische“ Wirkung für den Träger sichern wie das nach Angabe von F. Mößinger (Germanien 1940, S. 205) nach einer Tiroler Sitte über die Stalltüre zum Schutz des Viehes aufgehängte Radkreuz, erinnert anderseits in der Form an das Pektorale von Köln mit den fünf Sonnenscheiben (E. Jung, S. 345).
Ob bei manchen solcher Brauchtumsbilder der ganze Halo noch etwas durchschimmert, das läßt sich schwer entscheiden. Es wäre m. E. zu gewagt, etwa die Ringe des eben genannten Bronzeamuletts mit den Nebensonnen in Verbindung zu bringen; eher schon könnte man bei den Questen rechts und links des Questenbaums an solche Beziehung denken, da ja auch die Nebensonnen, wie wir hörten, „in weiße Schweife“ auslaufen. Daß sie auf den Felsritzungen nicht mit dargestellt sind, wäre kein Gegenbeweis, da ja diese Bilder alle so stark vereinfacht sind, daß wir nur das Allernotwendigste darauf angedeutet sehen. Auch wäre durchaus denkbar, daß solche Sonnenbilder, wenn schon nicht im Bereich jener Ritzer, so doch in anderen Gegenden üblich waren. Daß gerade diese Nebensonnen schon immer auch in unseren Breiten starke Beachtung fanden, geht u. a. daraus hervor, daß ihnen E. v. Megenberg – er nennt sie Parhelios – ebenso wie den Sonnenhöfen je ein kurzes Kapitel in seinem Buch der Natur widmet. Merkwürdig sind ja auch die eigenartigen Fortsätze oben auf den Sommertagskränzen (vergleiche die Bilder vom Kriemhildenstuhl!), welche an der Stelle der „hörnerartigen“ Berührungsbogen sitzen, die Form des Rhönkreuzes (Germanien 1940, S. 202) u. a. Wir müssen es aber beim Hinweis auf die Konvergenz der Erscheinung belassen, wir finden ja auch unter den Radnadeln solche, welche mit dem großen Halo der Felsritzungen völlig übereinstimmen, ebenso gut aber dem freien Gestaltungstrieb des betreffenden Bronzegießers ihre Entstehung verdanken können.
Ferner sei noch darauf hingewiesen, daß saich bemerkenswerterweise auf Kalenderstäben von Skandinavien neben allerlei Sinn- und Kalenderzeichen alle bisher besprochenen Sonnenbilder der Felsritzungen wiederfinden, und zwar wie dort mit einem Stiel versehen. Bei einer genauen Betrachtung der in Germanien 1941, S. 149, abgebildeten Stäbe fand ich so den einfachen Kreis, mit und ohne „Hörner“, ferner Kreise mit Punkt oder kleinerem Kreis in der Mitte, die Spirale (ebenfalls auf einem Stab!) und vor allem auch das Radkreuz, in einem Fall sogar von einem allerdings im unteren Teil niht ganz geschlossenen zweiten Kreis umgeben. Es ist klar, daß dies kein Zufall sein kann. Es hat wohl jedes dieser Sonnenbilder im Verlauf der Jahrtausende seine besondere Bedeutung bekommen.
Den schönsten Nachklang des den nordischen Felsritzungen zugrunde liegenden Brauchtums finden wir aber in den aus der Zeit der Römerherrschaft stammenden Felszeichnungen des Kriemhildenstuhls bei Bad Dürkheim. „Die größte Wahrscheinlichkeit hat die Erklärung für sich, daß auf dem Felsen unsere Vorfahren Sonnwendfeiern abhielten und in Erinnerung an ihre Erlebnisse die Felszeichnungen einmeißelten… Das Rad erscheint zumeist in Verbindung mit Stäben. Auffallend ist die Ähnlichkeit dieser Radstäbe mit den Radnadeln der Bronzezeit, aber auch mit den Brezelstäben, die heute noch unsere Jugend zum Sommertag trägt. Derartige Radstäbe mögen die Teilnehmer an den Sonnwendfeiern bei ihren Aufzügen getragen haben“ (13).

Sowohl das Radkreuz als Nachbildung des kleinen Halo, als die Erweiterung der Figur in Richtung auf den großen Halo, dürfen wir nach dem Vorausgegangenen in erster Linie im Norden erwarten, wo diese Erscheinungen am häufigsten und reinsten auftreten. Auffallend bleibt aber, daß in Einzelfällen beide Forme sehr weit im Süden auftauchen. So bringt Almgren ein Vasenbild aus einem Kammergrabe (Abb. 13 a) bei Mykenae, das neben zwei einfachen Radkreuzen zwei solche mit zusätzlichem kleinem inneren Ring aufweist. Sie gehören der spätmykenischen Zeit an. Almgren vermutet, daß nur ein Teil der Felsbilder rein nordischem Kult entstamme, während andere Elemente wie Lebensbaum, Donnerbeil und auch das Sonnenrad aus dem schon früher Ackerbau treibenden Zweiströmeland kamen. Nach unserem heutigen Wissen über die Wanderzüge derJungsteinzeit, nach dem Fund des aus dem 4. Jahrtausend stammenden Holzpfluges von Walle in Ostfriesland usw. muß diese Ansicht abgelehnt und die umgekehrte Richtung angenommen werden. Für das Sonnen-bzw. Donnerrad als Attribut des Sonnengottes sowie des Blitz- und Donnergottes im Norden wie im Süden gilt ähnliches.
Wann und wo die Sonnenbilder entstanden sind, läßt sich heute nur sehr schwer sagen. Daß sie schon in der Jungsteinzeit verhältnismäßig häufig als Sinnbilder und Schmuckelemente vorkommen, ja in einzelnen Formen (Malteser Kreuz?) sogar schon eine gewisse Entwicklung hinter sich haben, das zeigt ein Blick in irgendein einschlägiges Werk. Von solchen Bildern konnte aber in vorliegender Arbeit nicht ausgegangen werden, da sie ihre Herkunft nicht so eindeutig erkennen lassen wie jene Felsritzungen.
Aber auf eine von Kossina (5) gebrachte Abbildung muß kurz verwiesen werden. Er zeigt Tonkrüge aus der Mondseekultur (Abb. 14), welche zwei Sonnenbilder tragen. Das eine von ihnen ist aufgebaut aus sechs um einen Mittelpunkt gezogenen konzentrischen Kreisen, deren äußerster einen Strahlenkranz trägt. Dieser soll offenbar besonders hervorheben, daß es sich hier um ein Bild der Sonne handelt. Ferner finden wir eine Spirale, deren äußerster Umgang sich wieder zum Kreis schließt und ebenfalls einen Strahlenkranz trägt. Also ist auch die Spirale hier ein Bild der Sonne. Der Zusatz des Strahlenkranzes wurde auch beim Radkreuz notwendig zu einer Zeit oder an einem Ort, da es allein nicht ohne weiteres als Urbild der Sonne gefühlt wurde. Dies sehen wir aus der Beobachtung, die Clemen (1) in seiner „urgeschichtlichen Religion“ mitteilt, daß „in der Gegend von Nördlingen ein von Strahlen umgebenes Radkreuz noch jetzt auf bestimmten Gegenständen vorkommt und allgemein als Sonne erklärt wird“.
Die zuletzt genannten Bilder sind wohl zu unterscheiden von jenen in der Volkskunst recht häufigen aber schon in der Jungsteinzeit auftretenden einfachen Kreisen mit Strahlenkranz. Man vergleiche z. B. die Handpauke des Anhalter Stils (Abb. 15) bei Kossinna (5). Es sind einfache Bildchen, wie sie auch unsere Kinder zeichnen. Mit Sonnenfesten haben sie vielleicht nichts zu tun. „Daß die Strahlen des Sonnenhauptes … älteste nordische Vorstellungen sind, geht aus den Strahlenhäuptern von Sonne und Mond von bronzezeitlichen Bildern hervor“ (6). Und Tacitus berichtet in seiner Germania 45, daß man jenseits der Suionen, wo Abend- und Morgenschein der Sonne sich begegnen, die Strahlen des Sonnenhauptes zu sehen glaube (radios capitis adspici persuasio adicit). Wir brauchen zur Erklärung der Entstehung dieser Strahlenbilder nicht die Mitternachtssonne zu bemühen, wir können die Erscheinung der von der Sonne ausgehenden oftmals farbigen Strahlen beim Durchdringen des Lichtes durch Wolkenbänke, vor allem beim sogenannten „Wasserziehen“ der Sonne, immer und überall beobachten. Und wenn wir bei klarem Himmel versuchen, in die Sonne zu sehen, schließen wir unwillkürlich wegen der starken Blendung die Augen möglichst stark, und auch dann treten ähnliche „Sonnenstrahlen“ auf. In der Volkskunst sind diese schlichten Bildchen häufig noch mit dem Gesicht der Mutter Sonne versehen. Auf einem Hause in Dörrenbach in der Pfalz sehen wir dies freundliche Sonnengesicht mit Sonnenwirbel, Palmette, Hakenkreuz und verschiedenen Sternen treu vereint, am Weintor ist es als Wappenbild von Schweigen in das Gebälk geschnitzt.

Zum Schluß muß noch auf zwei Himmelserscheinungen eingegangen werden, welche zur Erklärung der Felsbilder nicht herangezogen wurden. Da ist zunächst die teilweise, ringförmige und totale Sonnenfinsternis. Wie stark diese heute noch die Naturvölker, ja sogar den hastenden Großstadtmenschen in ihren Bann schlägt, ist bekannt. Ein solches Ereignis könnte also recht wohl ebenfalls seinen Niederschlag in Feiern anläßlich der glücklichen Wiedergeburt der Sonne und damit auch in Felsritzungen gefunden haben. Man könnte an all die völlig ausgehöhlten Sonnenscheiben denken. Es fehlen aber die bei den bisher besprochenen Sonnenbildern in die Augen springenden Parallelen. Man hat wohl die von solchen Scheiben manchmal wie Wurzeln nach allen Seiten hin ausgehenden Striche gelegentlich als Strahlen gedeutet, könnte in diesem Sinne also an die Sonnenkorona denken. Ich glaube aber, daß die übliche Deutung dieser Striche als menschliche Figuren richtiger ist, ganz abgesehen davon, daß eine Beobachtung der Sonnenfinsternis in ihren Einzelheiten mit bloßem Auge wenigstens bei klarem Himmel nicht ohne weiteres möglich war. Auf einem dieser nordischen Bilderbogen (Abb. 10) sehen wir eine Scheibe in Berührung mit einem gleichgroßen Radkreuz. Auch dies vermag nicht zu überzeugen, es ist wohl eher die neue, der Winternacht entronnene Sonne. Wenn O. S. Reuter (6) mitteilt, daß „die ostwärts gerichtete Bewegung der Verfinsterungen der Sonne nebst ihrem gleichzeitigen scheinbaren Hinabgerissenwerden nach Westen“ schon von dem westgotischen Sisebut mit völliger Klarheit erkannt wurde, so beweist dies, daß der Himmel von den Germanen schon immer mit scharfem Auge beobachtet wurde. Da aber in der Frühzeit der forschende Verstand dabei wenig mitzureden hatte, sondern, je weiter wir zurückgehen, um so stärker und ausschließlicher solche Naturerscheinungen vom Gemüt verarbeitet wurden, so wäre, wie schon gesagt, an sich das Auftreten diesbezüglicher Bilder unter den Felsritzungen denkbar. Solange aber keine besseren Unterlagen vorhanden sind, wollen wir von der Einbeziehung der Sonnenfinsternis besser gänzlich absehen.
Ähnlich ist es mit der Frage, ob nicht der Wechsel von Vollmond zu Neumond in den Scheiben und Kreisen seinen Ausdruck gefunden hat, ist doch heute noch der Glaube an eine Wirkung auf Wachstum und Gedeihen von Pflanze, Tier und Mensch im Volk lebendig. Aber auch für ein Hereinspielen dieser Erscheinung in die Felsritzungen fehlen sichere Anzeichen. Für unsere Arbeit ist diese Frage auch nicht von grundsätzlicher Wichtigkeit, da auf diese Weise höchstens die einfachen Kreise und Strahlen ihre Erklärung finden würden, u. U. allerdings auch die Mondhöfe eine Rolle gespielt haben könnten.
Zusammenfassung:
Die nordischen Felsritzungen entstanden nach Almgren im Zusammenhang mit Kulthandlungen im Dienst der Sonnenverehrung und des Fruchtbarkeitsgedankens. Dabei wurden auch Bilder der Sonne herumgetragen, gefahren oder aufgestellt. Diese Sonnenbilder nun sind nach meiner Meinung aus unmittelbarer Himmelsbeobachtung entstanden. Die farbenprächtigen Sonnenhöfe und Haloerscheinungen gaben Anlaß zu Festen. Die am Himmel geschauten Bilder wurden nachgeformt, bei den allgemeinen Licht- und Fruchtbarkeitsfeiern als Festtagsschmuck der Sonne beibehalten, wahrscheinlich auch mit bunten Blumen usw. farbig gestaltet, wie wir es ähnlich bei der Pfingstqueste, dem Sommertagsstecken usw. heute noch im Volksbrauch finden. Als Nachklang solcher Sonnenfeste entstanden Felsritzungen , sei es, um die Erinnerung der Nachwelt zu erhalten, sei es auch aus „magischen“ Gründen (vgl. die eingestreuten „Elfenmühlen“!).
Der Grundsatz, der wohl für die Entstehung der meisten alten Sinnbilder Gültigkeit hat – unmittelbare Übernahme aus der heimischen Umwelt – wäre dann auch für die Sonnenbilder gewahrt. Auch sie entstammen der nordischen Heimat, nicht auf dem Umweg irgendeiner gedanklichen Abstraktion, sondern als unmittelbares Geschenk der Natur selbst, die von jeher „das Bild aller Bilder“ war.