Geschrieben von: Theobald Bieder |
Den Germanen zurückzugeben, was ihnen gehörte und im Laufe der Zeiten verlorengegangen war, war das Ziel der unsterblichen „Deutschen Mythologie“, die Jakob Grimm 1835 erscheinen ließ.
Die AnfängeIn einem Lebensabriß, den Edward Schröder im 53. Bande der Allgemeinen Deutschen Biographie dem deutsch-schweizerischen Mythen- und Sagenforscher Ernst Ludwig Rochholz (1809-1892) gewidmet hat, heißt es: „Zur Mythologie und zum Kultus der heidnischen Vorzeit zog es ihn immer wieder mächtig hin. In 26 handschriftlichen Quartbänden umfaßt sein Nachlaß als ,Ahnenerbe‘, was er in mehr als 50järhiger Arbeit für ,Geschichte, Sprache, Satzung, Sitte und Lage der deutschen Schweiz, zunächst des Aargaus‘ aus urkundlichen Quellen aller Art zusammengebracht hatte.“ Mag die Wissenschaft auch bei Rochholz „den Gegensatz zwischen seiner sehr richtigen, kritischen Beurteilung der Richtungen der neueren Sprachforscher und der mangelnden Klarheit und Festigkeit seiner Ausführungen aus der Grammatik“ hervorgehoben haben, – welch ein Übermaß hingebender Liebe bekunden diese 26 handschriftlichen Bände aus seinem Nachlasse! Sie sind ein leuchtendes Beispiel für alle, denn wie wäre ein Fortschreiten der Wissenschaft möglich, wenn ihr nicht durch unendliche Kleinarbeit der Weg freigemacht würde? ![]() Wie wäre ohne diese Kleinarbeit zum Beispiel das umfassende Lebenswerk der Brüder Grimm denkbar? Welch reiche Schätze haben sie aus unserer mütterlichen Erde herausgeholt, und in welch hohem Maße haben sie damit nicht nur die Wissenschaft, sondern unser ganzes Leben bereichert! Nicht nur ihre Gegenwart hat den lebendigen Hauch ihrer Tätigkeit gespürt, auch wir Heutigen haben teil an dem Erbe, das sie uns hinterlassen haben. Was sie geschaffen haben, bleibt unser nie wieder zu verlierendes Eigentum. Man darf sich nun nicht vorstellen, daß vor dem Auftreten der Brüder Grimm die Mythologie völlig brach gelegen hätte; im Gegenteil: kaum ein anderes Gebiet der Vorzeitkunde als gerade sie scheint die Gemüter in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in gleich starkem Maße bewegt zu haben. Das macht die starke Anziehungskraft, die das Gebiet auf jeden ausübt, der mit ihm in Berührung kommt. Kein anderes Gebiet als die Mythologe ist aber auch im gleichen Maße der persönlichen Auslegung ausgesetzt, denn sie baut sich auf einer anderen Ebene auf als beispielsweise die Vorgeschichte und greift unmittelbar in das geistige und seelische Leben unserer Vorfahren ein. Wie stark prallten schon am Ende des 18. Jahrhunderts die Gegensätze in den Richtungen Adelung-Rühs einerseits und Herder-Gräter anderseits aufeinander! Die Kardinalfrage war: was ist von den Mythen echtes Volksgut, was ist Dichtung späterer Zeit – wie wir auch bei den Märchen mit ihren mythischen Stoffen zwischen volkstümlicher Überlieferung und Kunstdichtung unterscheiden. Der an sich gewiß anziehende Gedanke, daß sich alle Mythologien in einer höheren Einheit verbinden müssen (er wurde von Friedrich Creuzer, Görres und anderen ausgesprochen), ist bald einer anderen Auffassung gewichen, der nämlich, daß sich auf diesem Gebiete sogar stammestümliche Unterschiede geltend machen. Eine scharfe Trennung wurde namentlich zwischen nordischer (skandinavischer) und deutscher Mythologie gemacht, wobei auf den Norden zunächst das stärkere Gewicht gelegt wurde. Das war begreiflich, denn Skandinavien verfügte ja über die reichsten mythologischen Schätze aus germanischer Frühzeit. Da waren die Lieder der Edda, die isländischen Sagas, die mythenerfüllen ersten neun Bücher der Dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus usw. Was konnten die Südgermanen, die Deutschen, diesem Reichtum entgegenstellen? Nichts als einzelne Bruchstücke, die hier und da ein glücklicher Zufall der Vergessenheit entrissen hatte. Alles, aber auch alles, hatte der Eifer Ludwigs, des sogenannten Frommen zerstört. Vielleicht, daß sich hier aus Märchen, örtlichen Bräuchen usw. noch etwas ermitteln ließ. Die nordische Überlieferung aber bot Schwierigkeiten: sie war jung, denn sie ging kaum über das 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück. Solange man an der Meinung festhielt, daß die Germanen mit den indogermanischen Bruderstämmen aus Asien eingewandert waren, konnte man annehmen, sie hätten die Grundlagen ihrer mythischen Vorstellungen aus der fernen Urheimat mitgebracht. Je mehr sich aber die Alteingesessenheit des Germanentums auf nordischem Boden herausstellte, um so mehr wurde die Ursprünglichkeit der nordischen Mythologie bestritten. Mit aller Erbitterung entluden sich die Kämpfe um sie in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, aber ausgekämpft wurden sie noch nicht. Den Vorrang nordischer Mythologie erkennen wir z. B. aus H. A. M. Bergers „Nordischer Götterlehre“, 1826 (einem Wörterbuch nordischer Mythologie, ähnlich der 1816 erschienenen Veröffentlichung Nyerups) und dann vor allem aus dem reichhaltigen und kaum auszuschöpfenden „Priscae veterum borealium mythologiae lexicon“ des Finn Magnusen, 1828. Dieses, in Verbindung mit der „Geschichte des Heidentums im nördlichen Europa“ J. F. Mones, 2 Bände, 1822/23, bildet noch nach Wolfgang Golthers „Handbuch der germanischen Mythologie“, 1895, „Den Höhepunkt der mythologischen Forschung vor Uhland und J. Grimm. Es war viel Tatsächliches geboten, dessen Wert noch heute andauert und durch die verkehrten Meinungen, welche die Verfasser über die Erklärung des fleißig zusammengetragenen Stoffes hegten, nicht beeinträchtigt wird.“ Die verkehrte Auslegung Finn Magnusens bestand für Golther hauptsächlich darin, daß bei ihm die Sternstunde allzu stark hervortrat: „Danach wären die Germanen vorwiegend Sternanbeter gewesen und hätten überaus genaue astronomische Kenntnisse sehr künstlich zu Mythen verwandt.“ Nach meiner Überzeugung hat der gestirnte Himmel allerdings die Mythologie nicht nur der Germanen, sondern wohl aller Völker, zutiefst beeinflußt. Welch hohe Stellung die Mythologie einnahm, ersehen wir namentlich aus der „Literarischen Einleitung in die nordische Mythologie“ von E. F. Koeppen, 1837, der in der Vorrede meinte, ein einziger Vers der Edda sei mehr wert als alle in den Museen von Kopenhagen und Stockholm aufgespeicherten Schätze. Was mag wohl E. F. Thomsen, der doch fast im gleichen Augenblicke den „Leitfaden für nordische Altertumskunde“ hinausgehen ließ, zu einem solchen Satze gesagt haben? Vielleicht hat er gedacht: was nützen mir alle mythologischen Vorstellungen, die mir unter der Hand zerrinnen können; da ziehe ich doch die „materielle“ Hinterlassenschaft unserer Ahnen vor, aus der ich mir ein wirkliches Bild von ihrem Leben und ihren Gewohnheiten machen kann. Daß der eine wie der andere Standtpunkt einseitig und darum nicht zu befürworten ist, versteht sich von selbst. Ich erinnere hier an die im 1. Bande meiner „Geschichte der Germanenforschung“, S. 110, mitgeteilte, dem 17. Jahrhundert angehördende Ansicht Morhofs, wir erfaßten „im Gewölk dieser Fabeln (der Edda) gelegentlich ein Stück Wahrheit, wenn wir auch fürchten müssen, dabei mitunter statt einer Juno eine Wolke zu umarmen“. In eigentümlicher Weise leuchtet diese Auffassung späteren Ansichten, namentlich der Gegenwart, voran. Einmal hat aber Koeppen seinem gepreßten Herzen Luft gemacht und einer Anschauung Raum gegeben, die noch heute stärkste Beachtung verdient: „Es ist eine von den Geistlichen aller Zeiten emsig verbreitete, jedenfalls schief gestellte Behauptung, das Christentum und die Hierarchie seien dem Aufblühen der Wissenschaft und Literatur besonders günstig gewesen. Wahr ist es, unsere Väter verdanken der Kirche die Schreibkunst, Bücher und Büchergelehrsamkeit, ja den ganzen äußeren Apparat, meistens auch den Inhalt ihrer Literatur; aber darüber hinaus dürfen wir anderseits nicht vergessen, wie nachteilig dieselben zugleich gewirkt haben, indem sie den freien, wilden, naturkräftigen Geist der germanischen Völker künstlich durch römisches Gift zur Impotenz herabzubringen suchten. Sie sind es, die unsre alte Nationalpoesie direkt oder indirekt totgeschlagen, unsrer gesamten Anschauungsweise die schändliche Fessel der lateinischen Sprache angelegt und dadurch das Aufblühen der deutschen Prosa verhindert haben. Was würde unsre mittelalterliche Literatur, namentlich unsre Geschichtsschreibung, ohne den verderblichen Einfluß der Pfaffen und Mönche geworden sein!“ Den Germanen zurückzugeben, was ihnen gehörte und im Laufe der Zeiten verlorengegangen war, war das Ziel der unsterblichen „Deutschen Mythologie“, die Jakob Grimm 1835 erscheinen ließ. Ebenso wie mit den Kinder- und Hausmärchen war hier eine Sammlung ins Leben getreten, die den Zeitgenossen einen ungeheuren Reichtum aus ferner Vergangenheit erschloß. Hier wie überall hat sich Jakob Grimm als der treue Eckart des deutschen Volkes und als ein Mann bewährt, der sich dem deutschen Wesen im tiefsten verpflichtet fühlte. Sein Werk steht unter den Erscheinungen des 19. Jahrhunderts über germanische Mythologie da wie ein König unter seinem Gefolge; denn, wer auch immer später andere Wege eingeschlagen hat, ist in erster Linie durch Jakob Grimm angeregt und befruchtet worden. Wir kennen den weitgespannten Begriff „deutsch“, mit dem Jakob Grimm arbeitete, wenn wir an seine deutsche Grammatik oder an die „Geschichte der deutschen Sprache“ denken. Im gleichen Sinne strebt seine deutsche Mythologie nach Vereinheitlichung des germanischen Mythenschatzes. Man kann dem freilich entgegenhalten, daß Jakob Grimm die nordische Mythologie ausschließen wollte; das Nordische dürfe, wie in der Einleitung gesagt wird, nur da in seine Darstellung einfließen, wo es „seinem Inhalt oder seiner Richtung nach mit dem des inneren Deutschlands zusammentrifft“. Der folgende Satz „Alles übrige, der nordischen Lehre allein Eigentümliche, gehört nicht hierher“ ist aber schon in der zweiten Auflage ausgelassen worden – vermutlich doch deshalb, weil es eben nicht gut zu umgehen war. Um aber eine falsche Kritik auszurotten, „habe ich wohl eingesehen, daß ich nicht von einer Darstellung der nordischen Fülle, vielmehr der deutschen Armut ausgehend, Ähren lesen mußte, keine Garben schneiden durfte“ (Vorrede an Dahlmann). Eine andere Arbeitsweise zeigt das gleichzeitige Schaffen Ludwig Uhlands, dem es darauf ankam, einzelne Göttergestalten herauszuheben und im vollen Umfang der Überlieferung zu zeichnen. Als erste Frucht seiner Forschungen erschien 1836 „Der Mythus von Thor nach nordischen Quellen“, dessen Titel schon auf die Beschränkung auf den nordischen Mythenkreis hinweist. Eine weitere Arbeit Uhlands über Odin ist erst nach seinem Tode im 6. Bande der „Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage“ erschienen. Neben Uhlands Schrift über Thor sind die im gleichen Jahre erschienenen „Untersuchungen zur Geschichte der teutschen Heldensage“ von Joseph Franz Mone zu nennen, denn daß die Heldensagen wie Beowulf und die Nibelungen in das mythische Zeitalter zurückgreifen, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Für die Nibelungen ist dies uns Heutigen durch die Schöpfungen Friedrich Hebbels und Richard Wagners ohne weiteres klar. Für Beowulf hat dann Heinrich Leo den mythischen Gehalt herausgelöst in der Schrift „Beowulf, das älteste deutsche, in angelsächsicher Sprache erhaltene Heldengedicht nach seinem Inhalte und nach seinen historischen und mythologischen Beziehungen betrachtet. Ein Beitrag zur Geschichte alter germanischer Geisteszustände“, 1839. Der „mythische Inhalt“ ist hier im 2. Kapitel (S.18-47) behandelt worden. Wilhelm Müller – das war derselbe, der 1844 eine Ergänzung oder einen Abschluß der deutschen Mythologie Jakob Grimms geben wollte mit seinem Buche „Geschichte und System der altdeutschen Religion“. Der Verfasser bekennt, sein Buch auf Grund des Werkes Jakob Grimms aufgebaut zu haben; dieses habe überhaupt den Ausgangspunkt für alle künftigen Untersuchungen zu bilden. Dann fährt er fort: „Für mich war auch die Verbindung des einzelnen und die Gewinnung neuer Ideen aus dem vorhandenen Stoffe die Hauptsache.“ Jakob Grimm mochte dieses Buch seines einstigen Schülers als einen Einbruch in sein ureigenes Gebiet aufgefaßt haben und erteilte ihm eine absprechende und sehr persönlich gefärbte Kritik. Gegen sie wandte sich Müller 1845 in einem „offenen Schreiben“, das aber keine Lösung der Spannung brachte. 1843 erschien die Deutsche Mythologie Jakob Grimms in erweiterter zweiter, 1854 in dritter, mit der zweiten übereinstimmenden, Auflage. Aber zwischen diesen beiden Auflagen hatte die mythologische Forschung ein anderes Gesicht erhalten: da hatte sich durch Adalbert Kuhn, Wilhelm Schwarz und andere die indogermanische Sprachforschung dieses Gebietes bemächtigt und der philologischen Methode eine mythologische beigesellt. Und wenn von nun an die vergleichende Mythologie neben der vergleichenden Sprachforschung in den Vordergrund trat, so konnte dies auf einer besser durchgearbeiteten Grundlage geschehen, als sie den Forschungen Friedrich Creuzers und seiner Zeitgenossen beschieden war. „Erst die vergleichende Mythologie kann die Aufgabe (der Mythendeutung) lösen, die als höchstes Ziel der Forschung bei jeder einzelnen vorschweben muß.“ So heißt es denn auch, dem Fortschritt der Zeit entsprechend, gleich am Beginn des „Handbuches der Deutschen Mythologie mit Einschluß der nordischen“, von Karl Simrock, 1853. Bei aller Verehrung für Jakob Grimm hat Simrock doch einen anderen Weg eingeschlagen als dieser: „Unser Verfahren ist das Umgekehrte von dem, welches J. Grimm befolgte. Er hat, wie er sich ausdrückt, die nordische Mythologie nur zum Einschlag, nicht zum Zettel seines Gewebes genommen. Wenn ich sie hier zum Zettel nehmen und das Deutsche im engern Sinn nur als Einschlag benutzen will, so liegt darin die Anmaßung nicht, meine Arbeit der des Meisters an die Seite zu stellen. Was ich gebe, ist nur ein Versuch, eine Aufgabe zu lösen, welche die Zeit gestellt hat, zu der aber meine Kräfte noch schwerlich ausreichen. doch erst wenn sie gelöst ist, kann die Hoffnung sich erfüllen, welche Myth. VIII. ausgesprochen wird, daß endlich der Punkt erscheinen werde, auf dem der Wall zwischen deutscher und nordischer Mythologie zu durchstechen sei und beide zusammenrinnen in ein größeres Ganze.“ Simrocks Buch blieb einige Jahrzehnte hindurch für eine weite Leserwelt führend, aber eine wissenschaftliche Nachfolge war ihm nicht beschieden. In dem gleichen Jahr erschien die „Deutsche Mythologie fürs deutsche Volk. Vorhalle zum wissenschaftlichen Studium derselben“ von Theodor Colshorn. Als „Vorhalle“ war dieses Buch vor allem für die junge Welt bestimmt; es ist mit der Liebe und Begeisterung geschrieben, der der Stoff verdient. 1855 begegnen wir wieder einmal einer Sonderdarstellung: dem Buche „Odin“ von Wolfgang Menzel. In ihm wurden zum ersten Male alle Mythen um Odin zusammengestellt, und es ist bis zum Erscheinen des großen Werkes von Martin Ninck, „Wodan und der germanische Schicksalsglaube“, 1935, das einzige seiner Art geblieben. Der mannhafte, unserer Gegenwart sehr nahe kommende Standpunkt Menzels bekundet sich schon in der Einleitung: „Spuren eines uralten Zusammenhangs des altdeutschen Göttermythus mit dem indischen und persischen lassen sich nachweisen, aus der gemeinsamen arischen Wurzel ist aber wie im Gangestal und in Iran, so wieder im Norden Europas je ein ganz anderer Baum gewachsen. Gar keinen Einfluß aber übten auf die nordische Götterlehre Griechen und Römer, die vielmehr welchen vom Norden her empfingen, denn das sogenannte klassische Altertum war viel geschmeidiger, empfänglicher und passiver als der stahlfeste, durchaus männliche Norden.“ Wenn sich indessen bei Menzel Berufungen auf indische Mythologie finden, so haben wir in ihnen nicht Ausstrahlungen der zeitgenössischen vergleichenden Mythologie zu erblicken, sie gehen vielmehr in die Zeit der Romantik zurück, stammen also aus Creuzer, Görres, Rhode usw. Sehr beachtlich ist das Kapitel „Götterheimat und goldenes Zeitalter am Nordpol“ (S. 320 ff.), denn es erscheint wie ein Vorläufer von Gedanken, die erst ein halbes Jahrhundert später festere Gestalt gewinnen. – Es sei hier übrigens nachgetragen, daß bereits 1822 Heinrich Leo eine kleine Schrift „über Odins Verehrung in Deutschland“ verfaßt hatte – eine für jene Zeit nicht unbedeutende Leistung, die sich aber mit Menzels Buche nicht vergleichen läßt. Um 1855 steig ein Name rasch am Himmel der Mythologie empor: Wilhelm Mannhardt. Dieser hat später seinen „Antiken Wald- und Feldkulten aus nordeuropäischer Überlieferung“, 1877, ein für sein ganzes Leben wie für den Gang der mythologischen Forschung sehr aufschlußreiches Vorwort beigegeben, in dem er bekennt, von Jakob Grimm die erste Anregung erhalten zu haben. Denn so heißt es dort: „Der Wunsch, einem befreundeten Dänen Widerpart zu halten, der mit dem geborenen Schleswig-Holsteinen (Mannhardt wurde 1831 zu Friedrichsstadt geboren) als auszeichnenden Vorzug seines Volkes wieder und wieder dessen herrliche Götterwelt vorhielt, veranlaßte mich, mich um J. Grimms ,Deutsche Mythologie‘ zu bemühen. Es waren die Sommerferien; der Augustapfelbaum warf mir seine rotbackigen Früchte in den Schoß. so habe ich, damals Sekundaner, das schwererrungene Meisterwerk von Anfang bis Ende gelesen – und die Richtung meines Lebens war entschieden.“ Vergleichende Mythologie beherrscht dann auch die letzte größere Abhandlung Wilhelm Grimms „Die Sage von Polyphem“, 1837 (s. auch Kleinere Schriften, Band 4). Man kann die „Sage“ aber auch als „Mythe“ auffassen, denn dieser gehört doch Polyphem als ein Sohn des Poseidon sicher an. Grimm gibt einen Überblick über die große Verbreitung dieser Mythe, die sich unter mehrfachen Abwandlungen bei den verschiedensten Völkern findet; in der nordischen Überlieferung sei ihr Sinn jedoch am klarsten ausgesprochen: die Überlistung des Riesen durch einen Zwerg. (In der Odyssee ist Polyphem der Riese, Odysseus der Zwerg.) Zur Ergänzung der Abhandlung Wilhelm Grimms ist das Kapitel „Die Polyphemsage“ in Carus Sternes Tuiskoland, S.549 ff., heranzuziehen. Vielleicht hat die Arbeit Wilhelm Grimms Karl Weinhold zu seiner im folgenden Jahre erschienenen Abhandlung „Die Riesen im germanischen Mythus“ angeregt. Der Name Karl Weinhold hat in unserer Gegenwart wieder neuen Klang dadurch gewonnen, daß man sein „Altnordisches Leben“ (1856) in einer neuen Gestalt herausgebracht hat. Seinem ausgezeichneten Werke „Die deutschen Frauen im Mittelalter“, 1851, waren noch zu seinen Lebzeiten zwei weitere Auflagen beschieden. Wie stark in Karl Weinhold der Geist Jakob Grimms lebendig war, bestätigen die Worte Conrad Müllers in den „Germanischen Erinnerungen an die Alma mater Vratislaviensis“, 1911: „Alle Stimmen kommen darin überein, daß, wie es einmal Paul Pietsch ausdrückte, seit Jakob Grimm niemand mehr die Aufgabe und den Bereich der germanischen Wissenschaft so weit und so tief auffaßte wie er, daß sich auch keinem ihrer jüngeren Vertreter die deutsche Philologie wieder so klar als die Wissenschaft am eignen Volk gestaltet wie ihm. Er beackerte wirklich die deutsche Gesamtflur und begnügte sich nicht mit einigen abgerissenen Streifen. Seine Forschungen reichten von der gotischen und altnordischen Welt über das ganze Mittelalter hin bis zur deutschen Dichtkunst des 19. Jahrhunderts.“ Und gerade hier bewies Karl Weinhold seine starke Einfühlung in alles Volkstümliche dadurch, daß er für seinen schlesischen Landsmann Karl Holtei dasselbe wurde wie Müllenhoff für Klaus Groth und den „Quickborn“. In jenen Jahren – um 1860 – trat ein neues Gebiet in den Kreis germanischer Wissenschaft ein: die deutsche Volkskunde, von der allerdings der „Große Meyer“, Band 15, 1878, noch keine Notiz genommen hat. Aber einerlei, sie war da. Als ihre ersten Anreger darf man sicher Herder, Arndt und vor allem die Brüder Grimm betrachten; zum wirklichen Durchbruch haben ihr aber erst Männer wie der am Anfang dieses Aufsatzes genannte Ernst Ludwig Rochholz, Karl Weinhold und – von anderer Richtung her – Wilhelm Heinrich Riehl verholfen. Auch Wilhelm Mannhardt darf man diesen Männern beigesellen. Gewiß, er hat andere Wege eingeschlagen als Jakob Grimm vor ihm, aber er hat doch nur ein bestimmtes Gebiet erweitert, das der sogenannten „niederen“ Mythologie, die aber doch ein wesentlicher Bestandteil des ganzen ist. Wie weit sich schon 1868 der Wirkungskreis des damals 37jährigen erstreckte, erkennt man aus dem Titelblatt der kleinen Schrift „Die Korndämonen“; er war nämlich nach diesem „Privatdozent der Berliner Universität, Mitglied des Gelehrtenausschusses des Germanischen Museums zu Nürnberg, der Gesellschaft für deutsche Sprache zu Berlin, der archäologischen Gesellschaft zu Moskau, corresp. Mitglied des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde, der gelehrten estnischen Gesellschaft zu Dorpat, der lettisch-literarischen Gesellschaft zu Riga und Mitau, des Geschichts- und Altertumsvereins zu Narwa, des Vereins zur Kunde Ösels zu Arensburg und des Comité Flamand de France zu Dünkirchen“. Das bedeutet, daß ihm von allen diesen Kreisen – und noch darüber hinaus – bedeutende Anregungen für seine Sammlung volkskundlich-mythologischer Stoffe zuflossen. Seine für alle Zeiten wichigen Untersuchungen hat er in den beiden Bänden der Wald- und Feldkulte zusammengefaßt, von denen der erste 1875 unter dem Titel „Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme“ erschien; der zweite („Antike Wald- und Feldkulte aus nordeuropäischer Überlieferung“, 1877) wurde bereits oben erwähnt. Und neben Mannhardts Werke kann hier gleich des ähnlichen Charakters wegen Heino Pfannenschmidts Werk „Germanische Erntefeste im heidnsichen und christlichen Cultus, mit besonderer Beziehung auf Niedersachsen“, 1878, genannt werden, das natürlich mit germanischer Mythologie in engster Verbindung stand. Im gleichen Jahr (1878) wurde die vierte, von Elard Hugo Meyer besorgte, Auflage der Deutschen Mythologie Jakob Grimms mit dem dritten Bande abgeschlossen. So sah alles nach außen hin vertrauenserweckend aus. Hatte sich denn wirklich Paul de Lagarde geirrt, als er – ebenfalls 1878 – die bittere Klage ausstieß: „1835 erschien ein Buch, das zu den Epochemachendsten gehört, die je gedruckt worden sind, Jakob Grimms deutsche Mythologie; geschrieben ist es mit der vollen Empfindung deutschen Wesens und deutscher Poesie. Wieviele leben, die es so genossen haben und genießen, wie sein Verfasser es gemacht? Die unschuldig herben Formen deutschen Rechts sind unsern Zeitgenossen so tot wie die alten Sagen und Bräuche unserer Nation. Wir haben nie eine deutsche Geschichte gehabt, wenn nicht etwa der regelrecht fortschreitende Verlust deutschen Wesens deutsche Geschichte sein soll.“ („Die Religion der Zukunft“ in den „Deutschen Schriften“.) Dieses Wort wird erst verständlich, wenn wir betrachten, was gewissermaßen „unsichtbar dazwischen geht“. Alle Überlieferungen aus der Vorzeit waren dem deutschen Volke entfremdet worde; sie lebten nur in einem streng für sich abgeschlossenen Kreise der Wissenschaft, und selbst aus diesem konnte man oft genug geradezu germanenfeindliche Aussprüche hören. Uns Heutige überrascht gewiß, daß ein Mitarbeiter der Allgemeinen Deutschen Biographie im 9. Bande, 1879, über Heinrich Wilhelm von Gerstenberg schreiben konnte: „Das Gedicht eines Skalden … hat das freilich zweifelhafte Verdienst, die altnordische Mythologie in die deutsche Literatur eingeführt zu haben.“ Überhaupt ist die Allgemeine Deutsche Biographie bei allen unbesteitbaren Verdiensten ein Kapitel für sich. Es gibt kaum einen Vertreter des klassischen Altertums, sofern er nur eine Abhandlung vom Stapel gelassen hat, der in ihr nicht Aufnahme gefunden hätte. Dagegen vermissen wir recht oft bedeutende Germanisten. So findet sich z. B. über August Raszmann (geboren 1817, gestorben 1891), der 1857/58 das sehr bedeutende Werk „Die deutsche Heldensage und ihre Heimat“ in zwei Bänden herausgegeben hat, keine Silbe. Und auch später noch, nach 1900, müssen sich so berkannte Männer wie Carus Sterne und Elard Hugo Meyer mit wenigen Zeilen im „Nekrolog“ abspeisen lassen. Schwerster Rückschlag aber kam aus dem Kreise der Mythologen selbst, die ihr Gebiet zum Tummelplatze heftigster Fehden und Anfeindungen machten. Wie sollten sich Außenstehende noch in diesem Wirrwarr der Meinungen zurechtfinden! Wie geflissentlich war man bemüht, der Edda und überhaupt dem nordisch-germanischen Kreise jede Selbständigkeit der Einfindung oder des Urteils abzusprechen! Es kam von nun an nicht mehr darauf an, alle dichterischen Erscheinungen des Nordens von innen heraus zu entwickeln, überall mußten vielmehr Entlehnungen aus der Fremde herangeholt werden, durch die jene erst existenzfähig wurden. Als hauptsächliche Quelle für alle Entlehnungen galt zunächst das Christentum. Als geradezu zerstörerisch erwiesen sich hier zunächst Sophus Bugges „Studien über die Entstehung der nordischen Götter- und Heldensagen“, übersetzt von Oscar Brenner, 1881/89 in drei Heften erschienen. Den gleichen christlichen Spuren folgt Elard Hugo Meyer 1889 mit der „Völuspa, eine Untersuchung“, und 1891 mit der „Eddischen Kosmogonie“. Das Urteil über seine Germanische Mythologie war bei den Zunftgenossen durchaus nicht einheitlich: Wolfgang Golther hat sie gelobt, Friedrich Kauffmann, damals in Jena, hat sie in Grund und Boden verurteilt. Und als 1903 seine „Mythologie der Germanen“ erschienen war, schrieb Wilhelm Ranisch, der zwei Jahrzehnte später das Ragnarök-Werk Axel Olriks in der Übersetzung herausgab: „Ebenso wenig kann ich Meyer folgen in dem, was er über das Christentum in der nordischen Götterdichtung lehrt. Daß ein nordischer Dichter des 11. oder 12. Jahrhunderts, der zugleich ein gelehrter Theologe war, eine Summa Theologiae in eine Rätselsprache umdichtete, die im Norden sonstwo durchaus ohne Beispiel ist, bleibt nach wie vor eine bare Unmöglichkeit. Der Einsicht freilich, daß christliche Anschauungen den Dichter der Völuspa beeinflußten, wird man sich – besonders nach A. Olriks pfadweisender Schrift ,Om Ragnarök‘ – nicht mehr verschließen dürfen.“ In einer sehr gelehrten Schrift „Kelten und Nordgermanen im 9. und 10. Jahrhundert“, 1896, holte Eugen Mogk die Kelten als die Befruchter des germanischen Nordens heran. Zwar wurde ihm einmal deutlich, „daß der Einfluß der Germanen auf die Iren größer ist als der der Iren auf die Norweger“; aber doch kam er zu dem Schlusse, daß die Blüte der isländischen Literatur „gezeitigt ist durch den engen Verkehr mit den Kelten, die die Phantasie der Nordgermanen befruchtet haben“. Wie hätte man von den Germanen auch anders denken können! Alles in allem kann man von den Leistungen der achtziger und neunziger Jahre des vorvorigen Jahrhunderts sagen: die Analytiker, d. h. die Auflöser, hatten volle Arbeit getan. Für die unheimliche Ernüchterung in der Welt der Mythologen sprechen einige Sätze Friedrichs von der Leyen aus dem Jahre 1897: „Gerade die Geschichte dieser Wissenschaft (der Mythologie) zeigt deutlicher als irgend eine andere das stets wachsende Mißtrauen der Forscher gegen ihre eigene Gelehrsamkeit und ihren eigenen Scharfsinn. Früher schwelgte man in dem stolzen Vertrauen, die ganze Mythologie unserer deutschen Vorzeit entdeckt zu haben, und war glückselig im Besitz dieses Schatzes … Und heute? Da hat man längst die Hoffnung aufgegeben, daß ein Aufbau der deutschen oder gar der indogermanischen Mythologie gelingen könne, da hat man einsehen gelernt, daß fast alle Deutungen falsch waren, und hat den Glauben daran eingebüßt – da wittert man in den Überlieferungen überall christliche und unechte Bestandteile … An die Stelle des jugendlichen Überschwangs und der siegesfrohen Begeisterung trat eine kühle, oft spöttische Skepsis, eine vernünftige Nüchternheit – nicht einmal eine schmerzliche Resignation“ (Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 100 vom 5. Mai 1897). Es will doch etwas besagen, daß gerade Wolfgang Golthers „Handbuch der germanischen Mythologie“, 1895, dem Verfasser Anlaß zu diesen Äußerungen gab. „Eine Neutralität, wie die von Golther durchgeführte – sagt v. d. Leyen weiterhin – nimmt der Darstellung die lebensvolle Wärme“, und doch ist sie geeignet, „allen, die sich danach sehnen, eine klare Einsicht in die deutsche Mythologie zu gewähren“. Besonders wohltuend berührte es v. d. Leyen, daß Golther sich, wo es nur irgend ging, an Ludwig Uhland anschloß, denn „dieser erkannte und schilderte das Wesen unsrer alten Götter, wie kein anderer – sein Auge blickte in die Seele unsrer Vorzeit, und darum geben seine Schriften den Gestalten Thors und Odins gleichsam ihr altes Dasein zurück. Das ist mehr, als Jakob Grimm vermochte – in seiner Mythologie sind mir die Partien am liebsten, welche die lieben Gestalten unsres deutschen Märchens, die Elfen, Nixen und Kobolde schildern. Auch darin unterscheidet sich Uhland von Jakob Grimm, daß er eine Entwicklungsgeschichte des Cultus zu zeichnen versuchte – das erstreben heute unter anderen die Forschungen Karl Weinholds-, und Golther folgt auf diesen Pfaden dem Meister gleichfalls nach.“ Trotz aller „Nüchternheit“ und aller „Neutralität“ kann v. d. Leyen also Wolfgang Golther seine Anerkennung doch nicht versagen, und in der Tat: sein Buch gibt eine lückenlose Übersicht über die germanische Mythologie nach den Quellen des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung. Es kann daher auch noch der Gegenwart von Nutzen sein. Und wenn Golther wieder an Uhland angeknüpft und damit einen Zeitraum von sechs Jahrzehnten überbrückt hat, so ist auch das bezeichnend – und zugleich auszeichnend für Uhland; denn dieser war nicht nur ein feinsinniger Forscher, sondern auch ein echt volkhafter Dichter – und Dichter sind nach einem Worte von Alexander von Peez „Propheten – die früheste und letzte Essens des Volksgeistes ist in ihnen lebendig und, wie sie ohne Urkunden die Vorzeit verstehen, so gießen sie zeitweise hellen Schein in künftige Jahrhunderte“. Die JahrhundertwendeAm Beginn des 20. Jahrhunderts steht ein bedeutender Fund: der im September 1902 aus dem Trundholm-Moor auf Seeland gehobene Sonnenwagen. Auf einem zweirädrigen, von einem Pferde gezogenen Wagen steht eine Bronzescheibe, die auf der einen Seite vergoldet ist; diese Scheibe ist als Abbild der Sonne anzusehen. Die beste Abbildung dieses wichtigen Fundes brachte die „Urgeschichte Europas“ von Sophus Müller, 1905 (nach dieser Tafel 76 im 13. Bande des Reallexikons der Vorgeschichte von Max Ebert). Dieser Fund war gleichermaßen für die Archäologie wie für die Mythologie bedeutsam. Für Sophus Müller war der Sonnenwagen ein Beweis dafür, daß der Sonnenkult und auch die Darstellung des Pferdes sich aus der griechischen Dipylonzeit nach den nordländischen Stämmen verpflanzt haben. Vergeblich fragen wir uns, wie ein Mann, der um die Vorgeschichte sich so verdient gemacht hat wie Sophus Müller, ein so abwegiges Urteil abgeben konnte, ganz abgesehen davon, daß andere Archäologen das Sonnenbild in der Zeit der mykenischen Kultur setzten, wohin es seiner Ornamentierung nach auch gehört. ![]() So setzt ein Fund die Forschung nach verschiedenen Richtungen in Bewegung, und für die Mythologie war es außerordentlich wichtig, daß hier eine Verbindung der späten Edda mit der frühen gemeingermanischen Zeit – so darf man wohl sagen – hergestellt wurde. Eine gemeingermanische Zeit, d. h. eine Zeit, in der die Germanen über einen gemeinsamen Mythenschatz verfügten, ist zweifellos anzunehmen; aber die Verhältnisse liegen nun einmal so: auf der nordischen Seite die späte Überlieferung der Edda und der Sagas, bei den Südgermanen wohl teilweise frühere, aber nur in Bruchstücken erhaltene Überlieferung. Darum hat Paul Herrmann eine Teilung vorgenommen: seiner Nordischen Mythologie war bereits 1898 eine „Deutsche Mythologie“ vorangegangen. Beide Bücher weisen die gleiche Einteilung auf, zeigen aber doch grundlegende Unterschiede. Simrocks Mythologie wird als veraltet beiseite geschoben, aber Jakob Grimms unsterbliches Werk, einschließlich der Märchen- und Sagensammlungen glauben wir hier in verjüngter Form wiederzufinden. Und dazu gesellen sich natürlich neuere Forschungen (Kuhn, Mannhardt und andere). Alle diese Forschungen hat der Verfasser, wie er sagt, selbständig zusammengestellt, das heißt doch wohl, daß er ein solches Bild deutscher Mythologie gegeben hat, wie es ihm als richtig erschien. Diese Einschränkungen wird man bei allen Darstellungen germanischer Mythologie machen müssen. Mit Recht hat Herrmann die Germania des Tacitus ausgiebig herangezogen, denn aus ihr ergeben sich ja nicht nur Beziehungen zur späteren, sondern auch zur früheren, vorgeschichtlichen Zeit; so findet der zwei Jahrzehnte vor dem Fund von Trundholm im Dejbjerg-Moor bei Ringkjöbing gefundene Wagen (abgebildet u. a. in der Kulturgeschichte Schwedens von Oscar Montelius, 1906, S. 159) seine Entsprechung in dem Germania, Kap. 40, beschriebenen Wagen der Nerthus. Im übrigen waren die Jahre 1898-1902 geistig sehr regsam und zugleich aufwühlend. Auf der einen Seite stehen die vielen völkischen Erneuerungsbestrebungen, aus deren Reihe der Kreis um Ernst Wachler mit seinen Zeitschriften (Kynast, Deutsche Zeitschrift, Iduna) hervorgehoben sei, denn dieser Kreis war durchaus volkhaft – heidnisch – germanisch bestimmt. Ihm gehörte u.a. an: Alexander von Peez, dessen „Haine und Heiligtümer“, 1899, bleibenden Eindruck hinterlassen, und Friedrich Fischbach, der damals in Wiesbaden lebende Kunstgewerbeschuldirektor, der den Sinnbildern in der Weberei aller Zeiten und Länder nachgegangen ist und 1902 ein Buch herausgegeben hat: „Asgart und Mittgart und die schönsten Lieder der Edda“. In ihm suchte er nachzuweisen, daß das rechtsrheinische Land zwischen der Sieg und der Wupper die Heimat der Eddalieder sei. Auf der anderen Seite stehen die „panbabylonistischen“ Bestrebungen, eingeleitet mit der von Friedrich Delitzsch 1898 verfaßten Propagandaschrift „Ex oriente lux!“ und fortgeführt in desselben Babel-Bibel-Vorträgen, die 1902 begannen. Man sage nicht, daß das alles mit der germanischen Mythologie doch gar nichts zu tun habe. Gewiß hat es das, wenn zunächst auch nur im negativen Sinne. Die Schrift von 1898 forderte die Opferfreudigkeit hochgesinnter deutscher Männer auf, die Entdeckungsarbeiten auf den babylonisch-assyrischen Ruinenstätten und damit die Aufgaben der jungen Deutschen Orientgesellschaft zu unterstützen. Und die Anteilnahme, die unser letzter Kaiser gerade den Babel-Bibel-Vorträgen entgegenbrachte, mußte in der breiten Öffentlichkeit die für uns doch wirklich wichtigeren Fragen deutsch-germanischer Vergangenheit in den Hintergrund treten lassen. „Germanen stehen uns ja so ferne“, schrieb damals Alexander von Peez mit treffender Ironie. Von grundlegender Bedeutung – freilich auch für eine spätere Zeit – wurden zwei Werke des Jahres 1904, in denen sich stärkste Gegensätze aussprachen. Das eine war das große Werk des Schweden Bernhard Salin „Altgermanische Tierornamentik“, das andere die kleine, nur 38 Seiten enthaltende Schrift Karl Schirmeisens „Die Entstehungszeit der germanischen Göttergestalten“. Jenes Werk, das schließlich auch die mythologische Forschung befruchtet hat, wies mit Nachdruck auf das große gotische Reich am Schwarzen Meer hin, dem es eine wichtige Vermittlerrolle zwischen dem Orient, der klassischen Antike und den nordischen Germanen zuschrieb. Es lenkte den Blick somit nach Südosten, während Schirmeisen das Bodenständige germanischer Mythologie nachzuweisen suchte. Er ging dabei weiter als wohl alle Mythologen vor ihm, indem er die Ansicht aussprach, „daß das indogermanische Urvolk durch die Germanen selbst repräsentiert wird“, und zwar eben auf mitteleuropäischem Boden. In dieser Beziehung hatte er allerdings einen gleichgestimmten Zeitgenossen in Georg Biedenkapp („Aus Deutschlands Urzeit“, 1904). Schirmeisen führt einzelne Göttergestalten tief in vorgeschichtliche Zeit zurück; diese Götter „müssen dann auch mehr oder weniger deutlich das Gepräge dieser Epochen tragen“. Jede einzelne Gottheit „ist das Spiegelbild der materiellen, geistigen und sittlichen Kultur des Volkes, von dem sie geschaffen wurde“. So muß es nach Ansicht des Verfassers gelingen, aus der Kleidung, dem Schmuck, den Waffen usw. der einzelnen Gottheiten Rückschlüsse auf ihre Entstehungszeit zu ziehen. Manche dieser Rückschlüsse werden uns wohl nicht ganz stichhaltig erscheinen, aber es will doch etwas besagen, daß die Schrift sich der Unterstützung durch die bekannten Professoren Matthäus Much, Wien, und Rzehak, Brünn, erfreuen durfte. 1909 folgte das größere Werk Schirmeisens „Die arischen Göttergestalten. Allgemein verständliche Untersuchungen über ihre Abstammung und Entstehungszeit“ (336 Seiten). Dieses Buch ist mir nur aus einigen Besprechungen bekannt geworden, aus deren Reihe ich auf die zustimmende von Prof. Rzehak (Mannus I, 1909) verweise. Der Schluß dieser Besprechung sei hier wiedergegeben: „Die Wirksamkeit Vrtras und die Flucht Agnis werden mit der Eiszeit identifiziert. Indras Sieg über Vrtra repräsentiert die Nacheiszeit. Der winterliche Charakter Varunas deutet auf vorneolithische Entstehung; er ist offenbar eine Weiterentwicklung des eiszeitlichen Feuergottes Tvashtr. Da der Schleuderstein fast die einzige Waffe Indras ist, so fällt die Entstehung dieses mit Thor-Donar identischen Gottes in das Neolithikum. Ähnlich fällt die Entstehungszeit Mithras (= Merkur) in die ältere Metallzeit, da unter den Waffen dieses Frühlingsgottes das Schwert fehlt. Das Endergebnis aller dieser Untersuchungen ist, daß im vedischen Olymp die Mythologien dreier Völkergruppen vereinigt sind; es waren dies wahrscheinlich Germanen, nördliche Mischvölker und Iranier.“ Das Jahr 1909 brachte dann noch „Die Götter und Göttersagen der Germanen“ von Friedrich von der Leyen (2. veränderte Auflage 1920) und „Religion und Mythus der Germanen“ von Wolfgang Golther. Dieses mit wenig ansprechenden Bildtafeln ausgestattete Buch zeigt die gleiche Zurückhaltung wie das größere Werk von 1895. Was zunächst auffällt, ist, daß die Darstellung der altgermanischen Religion mit den Literaturnachweisen ganze 15 Seiten einnimmt, während die orientalischen Religionen mit 257 Seiten bedacht wurden. Über den Umstand, daß die germanische Religion den orientalischen Religionen beigesellt ist, klärt uns der Herausgeber des ganzen Werkes, Paul Hinneberg, auf: „Mit den Religionen von Hellas und Rom war sie nicht zusammenzustellen, weil es an inneren Beziehungen zwischen ihnen und der Religion der Germanen fehlt. Und in den Band, der den Entwicklungsgang der christlichen Religion behandelt, gehört sie ebensowenig, da ihr Zusammenstoß mit dieser für sie so vernichtende Folgen hatte, daß sie zu nennenswertem Einfluß auf die Ausgestaltung auch nur des nordeuropäischen Christentums nicht mehr gelangt ist. Unter diesen Umständen konnte Heusler selbst nicht anders als mir raten, seine Darstellung am Schluß des vorliegenden Bandes als eine Art Anhang zu den hier behandelten orientalischen Religionen zu veröffentlichen.“ Man beachte: „eine Art Anhang:“ Und warum sind die Germanen hier so schlecht weggekommen? Weil nach Heusler „von einer Entwicklungsgeschichte des germanischen Glaubens schon gar nicht die Rede sein darf“ und weil „ein einzelner vedischer Hymnus, ein jüdischer Psalm, ein attisches Chorlied mehr Religion enthalten als die gesamten nordischen Pergamente“. In der Einleitung zum ersten Bande meiner Geschichte der Germanenforschung, 1.Auflage, 1921, habe ich diesen letzten Satz scharf angefochten; heute stehe ich ihm weniger ablehnend gegenüber, sofern zwischen „Religion“ und „Mythologie“ scharf geschieden wird. Weil aber die „germanische Religion“ nun einmal, wie dies auch Heuslers Arbeit beweist, vor allem durch die „germanische Mythologie“ erschlossen wird, bleibt mein Urteil von 1921 wenigstens zum Teil bestehen. Was man aus dem Thema Heuslers hätte gestalten können, zeigte der zu gleicher Zeit, 1913, erschienene erste Band der „Altgermanischen Religionsgeschichte“ von Karl Helm (411 Seiten!). Der Verfasser gibt in einer ausführlichen Einleitung gute Überblicke über „Aufgabe und Methode“, „Ursprung und Wesen der Religion“, „die religiösen Äußerungsformen“ und „die Quellen der germanischen Religionsgeschichte“ – dieser letzte Abschnitt enthält allein 63 Seiten! Sodann folgen als „erster Teil“ die vorgeschichtliche Zeit und die vorrömische und römische Zeit. Bemerkenswert ist, wie der Verfasser über die schriftlichen Überlieferungen hinausgeht und auch aus vorgeschichtlichen Denkmälern Zeugnisse für die altgermanische Religion herausholt. Allerdings fühlt man auf Schritt und Tritt den vorsichtigen Forscher heraus, der sich nicht allzu gern auf ein bisher nur wenig bekanntes Gebiet hinauswagt. Immer wieder warnt er vor allzu schnellen Schlüssen. So meint er z. B. von den Felsenbildern Skandinaviens, einiges von ihnen sei vielleicht für die Relgionsgeschichte verwertbar, aber: „Ganze Sagen oder Mythendarstellungen darf man in den Felsenzeichnungen keineswegs erblicken.“ Daß die Felsenzeichnungen im nordischen Schrifttum immer eine gewisse Rolle gespielt haben, ist wohl selbstverständlich. Das älteste mir hier bekannte Werk ist verfaßt von Axel E. Holmberg, „Skandinaviens Hällristningar. Arkeologisk afhandling“, 1848, mit 153 Seiten Text und 4 Tafeln, dazu zwei weiteren, nicht zu den Felsenbildern gehörenden Tafeln. Es folgen dann Worsaae, Hans Hildebrand, Sophus Müller, Oskar Montelius, Oscar Almgren usw. Daß durch die deutschen Ausgaben von Sophus Müller (Nordische Altertumskunde) und Oskar Montelius (Kulturgeschichte Schwedens) die Felsenbilder allmählich auch in Deutschland bekannt wurden, ist klar; ihre Inanspruchnahme für mythologische Ausdeutungen erfolgt bei uns aber erst jetzt, nachdem der Norweger Just Bing mit entsprechenden Arbeiten vorangegangen war. Den ersten Vorstoß machte bei uns Gustaf Kossinna in der im Herbst 1914 erschienenen zweiten Auflage seines Werkes „Die deutsche Vorgeschichte eine hervorragend nationale Wissenschaft“ (die 1912 erschienene, weit kürzer gehaltene erste Auflage berichtet noch nichts davon). daß nunmehr ein neuer Abschnitt beginnt, wird daraus deutlich, daß 1912, im 4. Bande der Prähistorischen Zeitschrift, eine sehr feine Arbeit von Walter Vogel erschien: „Von den Anfängen deutscher Schiffahrt“, die die Felsenbilder ergiebig heranzog. Sie zollt dem Wagemut unserer germanischen Vorfahren volle Anerkennung, aber ein Hinübergreifen in das Gebiet der Mythologie lag ihr fern. Und diese mythologischen Untersuchungen setzen sich nun auch im „Mannus“ (schon von 1914 an) fort. Über zwei Dinge war man sich damals schon im klaren,
Selbst für den nach allgemeiner Überzeugung spät erscheinenden Wodan glaubte Kossinna eine Entsprechung in den Felsbildern zu finden: „Der durch das Pferd dargestellte Windgott, der zugleich Speergott ist, stellt eine offenkundige Vorstufe des späteren Wodan dar, dessen Name noch auf die ursprüngliche Eigenschaft seines Trägers als Windgott hinweist, dessen Roßnatur in seinem achtbeinigen Roß Sleipnir fortlebt und dessen verhängnisvoller Speer aus der Nibelungensage und sonst bekannt ist.“ Weitere Gottheiten, die ihre Vorbilder in den Felszeichnungen finden, sind nach Kossinna Freyr, Thonar, Tyr (Tius) und die von Tacitus genannten wandalischen Alkis. Daß der aus dem Trundholmer Sonnengefährt erschlossene Sonnengott hier nicht fehlt, darf als selbstverständlich gelten. Zu dem Sonnengott gesellt sich der „Gott mit den großen Händen“, den nach Georg Wilke ein Bronzefigürchen aus dem Kaukasus ähnlich darstellt., und der von Kossinna auf die Morgenröte gedeutet wird. Diese Deutung leuchtet ein, denn eine Beziehung stellt hier der bekannte, oft wiederholte Homer-Vers her: „Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte“. Die „Rosenfinger“ aber scheinen größer als der ihnen folgende Sonnenball. Um dieses Gebiet hier – vorläufig! – abzuschließen, erwähne ich noch aus den Veröffentlichungen des Provinzialmuseums zu Halle die Schrift von Hermann Schneider „Die Felszeichnungen von Bohuslän, das Grab von Kivic, die Goldhörner von Gallehus und der Silberkessel von Gundestrup als Denkmäler der vorgeschichtlichen Sonnenreligion“, mit 5 Tafeln, 1918. Und doch ist das Werk aus älteren Vorlesungen über vergleichende Mythologie hervorgegangen. Aber gegenüber der früher mit Vorliebe behandelten Mythologie ist, wie es im Vorwort zum ersten Bande heißt, das Interesse des Verfassers für die Religion in den Vordergrund getreten, doch wird man wohl von einer „angewandten“ Mythologie, die die Werkzeuge benützt, statt sie nur anzusehen, sprechen können. Der erste Band bringt die allgemeine Einleitung und behandelt den arischen Himmelsgott und das höchste Wesen, der zweite Naturverehrung und Lebensfeste; die Herausgabe des dritten Bandes, der den Seelengöttern und Mysterien gewidmet werden sollte, hat der Tod des Verfassers (im Februar 1920) vereitetl. Trotz des weit ausgreifenden Stoffes kommt der Germanenfreund auch hier auf seine Rechnung; mythologisch-volkskundliche Beziehungen zum Germanentum finden sich allenthalben eingestreut, auch wo es sich um entlegene Gebiete handelt. Es kommt hinzu, daß von Schroeder in der Frage nach dem Ursitz der Arier sich den Ansichten von Penka und Matthäus Much angeschlossen hat. Die Liebe zu seiner südostbaltischen Heimat kommt einmal hübsch zum Ausdruck, wo die Rede davon ist, daß die Altertümlichkeit einer Sprache auf lange Ansässigkeit des betreffenden Volkes (in diesem Falle des litauischen) schließen lasse: „Allerdings liegt etwas Zwingendes nicht in dem Argument, man darf aber wohl noch darauf verweisen, daß Bezzenberger … die Anwesenheit des litauisch-preußischen Stammes in seinen jetzigen Wohnsitzen im Osten des Kurischen Haffs schon vor etwas 5000 Jahren sehr wahrscheinlich macht. Das wäre etwa die Periode der arischen Urzeit, welche wir im Auge haben.“ Auch hier: Wanderer zwischen zwei Welten. Die weitere EntwicklungWir sind jetzt der Entwicklung etwas vorausgeeilt und müssen wieder rückwärts schauen – bis zu dem Weltkriege 1914/18. Es haben schon kurz vorher und während desselben Grabungen und Forschungen eingesetzt, die wohl unwiderleglich bewiesen haben, daß neben dem Kulturhebel im germanischen Norden ein zweiter, nicht zu übersehender im Orient liegt, und noch einmal konnte uns der alte Spruch „Ex oriente lux!“ gefangen nehmen. Ex oriente lux! Wie oft hat uns dieses Wort in den Ohren geklungen und vor den Augen geflimmert! Während vor dem Kriege eine große Anzahl namhafter Germanisten zu einer glatten Ablehnung dieses Wortes gelangt sind, mußten ihm diese Forschungen wieder eine nicht unbeträchtliche Bedeutung zusprechen. Nicht in dem Sinne, als könne an dem Bild, das wir uns von der Urheimat der Germanen im Bereiche der Ostsee gemacht haben, Wesentliches geändert werden. Wohl aber haben in kultureller und mythologischer Beziehung jene Ausgrabungen in Kleinasien, Mesopotamien usw., sowie die Verwertung ältester orientalischer Quellen neues Licht über die Verhältnisse des ältesten Orients ausgegossen, das die Kunde vom Germanischen und Indogermanischen in mancher Hinsicht beeinflussen mußte. Es schien, als besäße jede durch überraschende Ausgrabungen neu auftauchende Frage einen magnetischen Pol, der auch innerhalb des germanischen Bereiches die Magnetnadel ablenkte. Noch einmal zeigte sich der Orient in aller Machtfülle. So ähnlich war es hundert Jahre früher, als Goethe uns die reifen Früchte seines west-östlichen Divan schenkte und die Märchen aus Tausendundeiner Nacht alle Herzen erfreuten; so war es, als die vergleichende indogermanische Sprachforschung Indien und Iran zu der Ehre erhob, die Stammländer der Arier zu sein. Und einen vorläufigen Abschluß dieser Periode brachte 1870 das Werk Viktor Hehns „Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergange aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa“. Es ist da gewiß beachtenswert, daß Hans Lamers Wörterbuch der Antike, 1933 und zweite Auflage 1936, das Wort „Ex oriente lux“ gerade mit dem Werke Hehns in Verbindung bringt. Aber etwas anders lagen die Verhältnisse um 1919 denn doch; der germanische Norden hatte siegreich sein Daseinsrecht behauptet; und wenn jetzt der Orient wieder die Blicke in hohem Maße auf sich lenkte, so konnte es sich nur darum handeln, die fast unterirdisch wirkenden Berührungen zwischen beiden Polen aufzuspüren. Wohl manchem mag damals der alte Vers Virgils in die Erinnerung gekommen sein:
„Hinc movet Euphrates,
illic Germania bellum“ (Von hier aus schürt der Euphrat, von dort her Germanien den Streit).
Für die Berührungen in frühgeschichtlicher Zeit kommen zunächst die drei aufeinander folgenden Werke Hermann Günterts in Betracht: „Kalypso. Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen“, 1919, „Von der Sprache der Götter und Geister. Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen zur Homerischen und Eddischen Göttersprache“, 1921 (man beachte hier die Zusammenstellung“!) und „Der arische Weltkönig und Heiland. Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen zur indo-iranischen Religionsgeschichte und Altertumskunde“, 1923. Und zwischen die beiden letztgenannten Werke schiebt sich das Werk Bernhard Schweitzers „Herakles, Beiträge zur griechischen Religions- und Sagengeschichte“, 1922, wie die drei Bücher Günterts in Heidelberg geschrieben.
„Hier dacht‘ ich lauter Unbekannte
Und finde leider Nahverwandte; Es ist ein altes Buch zu blättern: Vom Harz bis Hellas immer Vettern.“ Das bedeutet, daß Güntert sich nicht auf griechische Mythen beschränkt. „Kalypso“ heißt auf deutsch: die Verhüllerin, und Günterts Buch will weiter nichts als den einfachen Bedeutungswandel von „verbergen, verhüllen“ zu „töten“, von „geborgen, verhüllt werden“ zu „sterben“ darstellen. Da zeigen sich ihm auf germanischem Boden Entsprechungen in der Todesgöttin Hel, d. h. „die Hehlende, Verhüllende“, in dem Schwanritter Lohengrin, dessen Name in den ältesten Formen
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