Jede Herrschaft hat einmal ein Ende; auch die des grimmigen Winters. Mehr und mehr müssen seine eisigen Launen linden Lenzeslüften weichen, damit der Wonnemonat Triumphe feiern kann. Belebende Sonnenstrahlen dringen bis in die Wurzeln der Kräuter und zaubern das erste Grün, die ersten Blümchen auf die Hänge der Berge, heute so wie vor Tausenden von Jahren. Nichts hat sich im Naturgeschehen geändert. Nur im Brauchtum ist eine Änderung eingetreten.
Jede Herrschaft hat einmal ein Ende; auch die des grimmigen Winters. Mehr und mehr müssen seine eisigen Launen linden Lenzeslüften weichen, damit der Wonnemonat Triumphe feiern kann. Belebende Sonnenstrahlen dringen bis in die Wurzeln der Kräuter und zaubern das erste Grün, die ersten Blümchen auf die Hänge der Berge, heute so wie vor Tausenden von Jahren. Nichts hat sich im Naturgeschehen geändert. Nur im Brauchtum ist eine Änderung eingetreten.
Waren ehedem „Strom und Bäche vom Eise befreit“, und hatte sich der Winter auf den letzten Berg zurückgezogen, dann hob sich vor den geistigen Augen der Rhönbewohner eine lichtvolle, sonnscheinumwobene Göttin aus den Waldgründen und murmelnden Quellen empor: Ostara. Sie drängte das Bild der wetterumtobten Göttin Hulla in die Bergschluchten zurück, wandelte segnend über sprossende Wiesen und weckte die Kräfte des Werdens und Wachsens.
„Der April“, so überliefert uns Englands berühmter und hochgefeierter Gelehrter Beda Werabilis (ˇ 735 n.ü.Ztr.), „hieß bei den Angelsachsen „eosturmonath“ nach einer Göttin Eostre, der zu Ehren man in diesem Monat Feste feierte; mit dem einmal üblich gewordenen Worte eines Brauches bezeichnen sie die Freuden des neuen Festes.“
Da schon zur Zeit des Frankenkaisers Karl der April ostarmonath heißt, wird Ostara, Eostre, eine Licht- und Frühlingsgöttin gewesen sein. Wie bei den Indern der Göttin Ushas die erste Morgenröte der Frühlingsfeier gewidmet war, so ist in Deutschland ostrun das Fest der Göttin des wiederkehrenden Frühlings.
Der April, die Zeit des keimenden Lebens in der Tier- und Pflanzenwelt, gab demnach den Buchoniern (Rhönern) wie ihren Nachbarn ein neues Fest, das sie nach der Göttin Ostara Ostern nannten.
Wohl fehlen unmittelbare Nachrichten von heidnischen Ostergebräuchen fast vollständig. Trotzdem ist kein hinreichender Grund zum Glaubenszweifel an die Göttin Ostara gegeben. Viele Überlieferungen erbten sich im Volke fort, die den Schluß zulassen, daß Ostara, wie bei den Germanen überhaupt, so auch in der Rhön verehrt wurde.

Freudenfeuer flammten ihr zu Ehren im Frühling auf den Bergkuppen empor; Festmahlzeiten lockten, Methörner kreisten. Die Osterburg bei Bischofsheim soll eine Hauptstätte der Verehrung Ostaras gewesen sein. Reste dieser Frühlingsfeier haben sich bis auf unsere Tage in vielen Rhöndörfern erhalten. An langen Stangen befestigen die Burschen Heu, Stroh oder Werg, zünden es bei bei eintretender Dunkelheit an und laufen am Abend des Mittfastensonntags, die Feuerbrände schwingend, die Berge hinauf. Man bezeichnet diese Sitte mit dem Ausdruck: „Es laufen die Heuräder.“ In der hinteren Rhön heißen sie „Strohbläsen“.
Da Ostara als Göttin der zeugenden Naturkräfte betrachtet wurde, so gab man ihr als passende Sinnbilder Tiere, die durch ihre Fruchtbarkeit bekannt sind, wie den Hasen, den Widder und Ziegenbock, ferner das Eis als Sinnbild des Wiedererwachens zu neuem Leben, zur Auferstehung. Die bei uns noch üblichen Geschenke zu Ostern: Die Osterhasen, Ostereier und Osterlämmer sind offenkundige Reste der Ostaraverehrung.
Wie jedes Gebirgsvolk durch seine Abgeschlossenheit von der übrigen Welt, so hingen auch die Rhöner viel länger an dem germanischen Glauben und an überlieferten Sitten und Gebräuchen, als es sich mit ihrer Christianisierung eigentlich vertrug. Die ersten Prediger der neuen Lehre hatten ohne Frage eine harte und mühselige Arbeit, bis sie durch die Macht unterstützt die heidnischen Vorstellungen nach und nach aus den Schädeln der Buchonier verdrängten. Ganz gelang es ihnen überhaupt nicht. So mochten die Glaubensboten Kilian, Kolonat, Totnan, Bonifatius und andere zu der Annahme gelangen, daß die Hartnäckigkeit, mit der die Rhöner an ihren alten Gebräuchen festhielten, in etwas ganz Besonderem verankert sei. Der Teufel mußte auf sie versessen sein. So glaubten jene Pioniere des Christentums, und sie tauften keinen eher, als bis er den alten Göttern und allen teuflischen Geistern ausdrücklich abgeschworen hatte.
Die Eidesformel lautete, wie Anton Schumen in seiner Geschichte der Stadt Bischofsheim v. d. Rhön anführt, folgendermaßen:
Widersagst du dem Teufel?
Ich widersage dem Teufel.
Und aller Teufelsgilde?
Und ich widersage aller Teufelsgilde.
Und allen Teufelswerken?
Und ich widersage allen Teufelswerken und Worten: dem Donar
und Wodan und dem Genossen
der Sachsen und all den Unholden, die ihre Genossen sind.
Nach diesem Schwur erst durfte der Neubekehrte das feierlich vorgesprochene Glaubensbekenntnis ablegen und die Taufe empfangen. Aber allen Beschwörungen und Eidesformeln zum Trotz wurde Ostara im Geheimen weiter verehrt. Das mußten die Glaubensboten nur zu bald erfahren, und sie gestalteten aus dem Oster- ein „Judasfeuer“, das alljährlich am Karsamstag unter besonderen Gebetsformeln vor der Kirche abgebrannt wird.
Zu der Altvordern Zeiten schmückten Gewinde aus Fichtenzweigen und Frühlingsblumen den neuerwachten Brunnquell, aus dem germanische Jungfrauen das segenbringende Ostarawasser schöpften. Das war „heidnischer“ Brauch. Darum verbrennt die Kirche in dem sogenannten „Judasfeuer“ neben anderm die Reste der Kränze und Sträuße, die man im Laufe des Jahres in dem Gotteshaus und auf dem Friedhof gesammelt hat und weiht zu gleicher Zeit Wasser aus dem frischen Born, um es als „Taaf“ (Taufwasser) zu verwenden für die Kinder, die im Laufe des Jahres zur Welt kommen. Und eine jede Familie holte sich am Karsamstag den „Taaf“ zu heilsamen Gebrauche im eigenen Hause.
All den kirchlichen Maßnahmen zum Trotz: noch bis vor wenigen Jahrzehnten netzten sich in vielen Orten der Rhön am Ostersonntag morgens vor Sonnenaufgang die Mädchen mit frischem Tau oder sie eilten „unberufen“ zur nahen Quelle, sich mit ihrem Wasser zu waschen, die Kinder suchten hinter den Hecken, wo die ersten Veilchen hervorsprießten, ihre Ostereier, warfen auf der Wiese damit, die Frauen schmückten den Dorfbrunnen mit Fichtenkränzen und die Männer stellten am Ostersamstag abend einen Korb mit Heu auf den Hof, damit über Nacht der Ostertau herabfalle und Ostara es segne für sein Vieh, von dem jedes Stück am Morgen eine Handvoll als erstes Futter erhält.
Und die Umzüge der Jugend mit dem Lärm der Karfreitagsklappern in katholischen Dörfern der Rhön, was sind sie neben ihrer Bedeutung als Abwehr gegen die Unholde, die der Frühjahrssaat Schaden zufügen wollen, anders als Reste der Tänze und Spiele, mit denen Ostara zum beginnenden Lenz gefeiert wurde!
So lassen sich viele christliche Osterbräuche unserer Zeit mit der Feier des Frühlingsanfangs unserer Urahnen und mit der Verehrung der Göttin Ostara in innigste Beziehung setzen; und sie beweisen nicht nur den festen Glauben an sie, sondern überzeugen uns auch von ihrer hohen Bedeutung im Volksleben. |