Geschrieben von: J. Rieger
In unserem Ort gibt es nur einen kirchlichen Friedhof. Ich habe jetzt einmal vorgefühlt bezüglich der Aufschrift auf dem Grabstein, wenn ich einmal sterbe. Seitens der Kirchenleitung wurde mir gesagt, daß die Todesrune und die Lebensrune auf einem Grabstein nicht zugelassen würde, sondern nur das christliche Kreuz beim Todesdatum. Ist dies zulässig ?

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Hierzu habe ich ein wichtiges Urteil, das für alle Heiden Bedeutung hat, vor dem Verwaltungsgericht in Stade erwirkt. Dieses Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig.

Es ging darum, daß die Ehefrau von Edgar W. Geiß, der eine Bürgerinitiative gegen Kriegsschuld- und Greuellügen gegründet hatte, auf seinem Grabstein das Geburtsdatum und das Todesdatum mit der Geburtsrune und der Todesrune versehen wollte. Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Hechthausen lehnte dies ab. Daraufhin hat die Witwe, vertreten durch mich, Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht Stade hat durch rechtskräftiges Urteil vom 22.04.1994 (1 A 73/93) entschieden:

„Die Beklagte wird verpflichtet, die beantragte Gestaltung des Grabsteines für den verstorbenen Ehemann der Klägerin Edgar W. Geiß mit Runenzeichen vor den Geburts- und Todesdaten zu genehmigen. Die widersprechenden Bescheide werden aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte“.

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Aus den Urteilsgründen nachfolgend folgendes:

„Die Klage hat Erfolg.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Genehmigung eines Grabsteines für ihren verstorbenen Ehemann unter Verwendung der beantragten Symbole in Verbindung mit dem Geburts- und dem Todesdatum. Dazu im einzelnen:
Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Entscheidung der Beklagten ist deren Friedhofsordnung für den Friedhof der Evangelisch-lutherischen Marienkirchengemeinde in Hechthausen vom 8. Februar 1987 (Amtsblatt für den Landkreis Cuxhaven 1987, S. 349 ff.). Nach dieser Friedhofsordnung bedarf u.a. die Errichtung eines Grabmales gemäß § 17 Satz 1 der vorherigen Genehmigung des Kirchenvorstandes unter Beachtung des § 18 der Friedhofsordnung. § 18 schreibt in seinem Abs. 1 folgendes vor:
Grabmale dürfen nicht so gestaltet werden, daß sie eine Verunstaltung des Friedhofes bewirken oder Friedhofsbesucher in ihrer Andacht stören können. Grabmale dürfen sich ferner in ihrer Gestaltung nicht gegen den christlichen Glauben richten. Werkstattbezeichnungen dürfen nur unten an der Seite oder Rückseite eines Grabmales in unauffälliger Weise angebracht werden.
Diesen Anforderungen wird die beantragte Gestaltung des Grabmales für den verstorbenen Ehemann der Klägerin gerecht.

Zunächst ist festzustellen, daß diese Gestaltungsvorschrift in der Friedhofsordnung der Beklagten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung der Religionsfreiheit oder des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes nicht begegnet.
Die Evangelische Kirche ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Artikel 137 Abs. 5 der Weimarer Reichsverfassung i.V.m. Artikel 140 GG. Ihre Rechtsstellung ist damit dem öffentlichen Recht zugeordnet, auch wenn die Kirche nicht als Träger mittelbarer Staatsverwaltung in die Staatsorganisation eingegliedert ist. Gleichwohl wird dort, wo der Bürger in friedhofsrechtliche Beziehungen zur Kirche tritt, ein öffentlich-rechtliches Verhältnis begründet. Dieses wirkt sich auf die Zulässigkeit von Gestaltungsvorschriften aus, und zwar in Abhängigkeit davon, ob es sich um einen sog. Monopolfriedhof oder einen konfessionellen Wahlfriedhof handelt. Der Friedhof der Beklagten in Hechthausen ist ein Monopolfriedhof, weil ein weiterer in gemeindlicher Trägerschaft befindlicher Friedhof in der Gemeinde nicht vorhanden ist. Der kirchliche Friedhofsträger wird somit anstelle der Gemeinde tätig. Der kirchliche Friedhofsträger unterliegt damit bei der Gestaltung seiner Benutzungsbedingungen grundsätzlich den gleichen rechtlichen Bindungen wie kommunale Friedhofsträger auch (vgl. König, Recht der Grabmalgestaltung, 2. Auflage 1990, S. 81 ff.). Daraus folgt, daß Regelungen über die Gestaltung der Grabmale regelmäßig nur insoweit zulässig sind, als sie zur Verwirklichung des Friedhofszweckes und zum Schutze der Rechtsgüter „Wasserhaushalt, öffentliche Sicherheit, insbesondere Gesundheit“ notwendig sind und zum anderen den Charakter des Friedhofs als religiöse Stätte der Totenehrung wahren sollen (vgl. König, a.a.O.; Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechtes, 5. Auflage 1983, S. 167 ff.). Die Friedhofsordnung der Beklagten orientiert sich hieran und geht in ihren Gestaltungsvorschriften über diese Schutzzwecke nicht hinaus.

Die beabsichtigte Verwendung von Runenzeichen auf dem Grabmal des verstorbenen Ehemannes der Klägerin wird durch § 18 Abs. 1 der Friedhofsordnung der Beklagten nicht ausgeschlossen. Eine Verunstaltung des Friedhofes oder eine Störung der Friedhofsbesueher in ihrer Andacht wird hierdurch nicht bewirkt. Insoweit hat die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung auf diese Tatbestandsmerkmale auch nicht gestützt.
Die beantragte Gestaltung des Grabmales richtet sich indes entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gegen den christlichen Glauben. Runen sind Schriftzeichen, die seit dem 1. Jahrhundert nach Christus bei den Germanen verbreitet waren. Die Mehrzahl der etwa 5.000 auf Holz, Stein oder Metall überlieferten Inschriften (3.000 allein in Schweden) sind kurz und hatten meist magischen, aber auch profanen Charakter. Runen wurden nicht zur Niederschrift historischer oder literarischer Überlieferungen benutzt, sondern erscheinen (im Norden) als Gedenkinschriften für Verstorbene oder als Weihe- und Besitzerinschriften auf Waffen und anderen Gegenständen. Nach Einführung der lateinischen Schrift gerieten die Runen nicht in Vergessenheit: Sie wurden, zumindest in norwegischen Handelsplätzen, für alltägliche Mitteilungen gebraucht. Hauptverbreitungsgebiet der Runen war der nord- und mitteleuropäische Raum (Skandinavien, Britische Inseln, Deutschland). Einzelfunde stammen aus Ost- und Südosteuropa. Die älteste gemeingermanische Runenreihe – nach ihren ersten 6 Zeichen Futhark genannt – bestand aus 24 Zeichen und wurde bis ins 8. Jahrhundert nach Christus benutzt. Eine besondere Blütezeit der Runenkunst läßt sich im 10./11. Jahrhundert – also zum Teil schon in christlicher Zeit – in Schweden beobachten. Der Ursprung der Runen ist in Alphabeten des Mittelmeerraumes zu suchen. Allerdings ist die Herkunft der Runen immer noch umstritten (vgl. DTV-Lexikon in 20 Bänden 1992).

Hiervon ausgehend ist nicht festzustellen, daß Runenzeichen aus ihrer Entstehungsgeschichte heraus anti-christliche Bezüge aufweisen. Allein der Umstand, daß Runen bereits vor der Christianisierung Nordeuropas entstanden sind und demgemäß von Nichtchristen verwendet wurden, läßt den weitergehenden Schluß auf eine ihnen innewohnende antichristliche Symbolik nicht zu. Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer nicht aus dem Umstand, daß Runen in der Zeit des Nationalsozialismus als sog. nordische Symbole verstärkt Verwendung gefunden haben..
Dieses entsprach der Ideologie der Nationalsozialisten, die damit ihre Ausrichtung auf vermeintlich nordische Tugenden unterstreichen wollten. Dabei hat sich allerdings die Verwendung von Runenzeichen auch im Nationalsozialismus stets auf Einzelfälle beschränkt; eine Wiederbelebung etwa der Runenschrift insgesamt hat es auch in den Jahren des Nationalsozialismus nicht gegeben.

Die Kammer kann deshalb nicht erkennen, daß die hier im Streit befindlichen Runenzeichen, die – soweit ersichtlich – im Nationalsozialismus keine besondere Verwendung erfahren haben, als nationalsozialistisch besetzt und damit anti-christlich einzustufen wären. Dem entspricht es, daß auch heute noch gelegentlich diese Runenzeichen bei Todesanzeigen oder auf Grabmalen Verwendung finden oder z.B. als Symbol der Ostermarsch-Bewegung bekanntgeworden sind. Zwar mag es sein, daß der Wunsch eines Menschen, nach seinem Tode Runenzeichen auf seinem Grabmal verwendet zu sehen, damit zusammenhängt, daß der Verstorbene dem christlichen Glauben nicht verbunden war. Die Nichtverwendung von christlichen Symbolen läßt indes nicht den Schluß zu, daß ein anderes statt dessen gewähltes Symbol damit anti-christlichen Charakter hätte.
Jedenfalls gehen die Einflußmöglichkeiten einer Religionsgemeinschaft auf einem Monopolfriedhof nicht so weit, daß nur mit dem jeweiligen Glaubensverständnis der Kirche übereinstimmende Gestaltungsmerkmale verlangt werden können. Mit anderen Worten, ein Nichtchrist, der auf einem kirchlichen Monopolfriedhof zu bestatten ist, kann nicht verpflichtet sein, etwa das Kreuz bei seiner Grabmalgestaltung zu verwenden. Andere Symbole müssen zulässig sein, solange sie keinen erkennbaren anti-christlichen Charakter aufweisen.

An dieser Einschätzung der beantragten Runenzeichen ändert die Person des Verstorbenen nichts. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die Verwendung der beantragten Runenzeichen als Ausdruck der rechtsextremen politischen Überzeugung des Verstorbenen dienen solle. Denn dazu sind derartige Zeichen – wie oben ausgeführt – regelmäßig nicht geeignet. Die möglicherweise damit verbundene Aussage, daß der Verstorbene kein Mitglied einer christlichen Kirche war, führt jedoch nicht – wie bereits an geführt – zur Annahme einer antichristlichen Symbolik.

Da die beantragte Grabmalgestaltung somit den Gestaltungsvorschriften der Beklagten entspricht, war die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Genehmigung zu erteilen. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.“

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Dieses wichtige Urteil kann anderen Friedhofsverwaltungen, die vergleichbare Schwierigkeiten machen, entgegengehalten werden!