Geschrieben von: Otto Huth
Die außerordentlich treue Volksüberlieferung der germanischen Länder läßt uns den germanischen Brauch erkennen, das Herdfeuer das ganze Jahr hindurch brennend zu erhalten, am Jahresende aber zu löschen und neu zu entzünden. Der Julblock ist das Sinnbild dieses ewigen Herdfeuers, das das ganze Jahr hindurch brennt, und er ist zugleich der Bewahrer des heiligen Neufeuers, das besondere Kräfte hat. Die Sitte des Julblocks ist uns aus verschiedenen germanischen Ländern und bei einigen germanischen Nachbarvölkern bekannt. Es ist kein Zweifel daran, daß es sich um eine altgermanische Sitte handelt.

Der Julblock ist ein großer Baumstamm, der einst am Weihnachtsabend feierlich eingeholt und an die offene Herdstelle des alten Bauernhauses gebracht wurde. Meist war es so, daß man ihn das ganze Jahr über beim Feuer ließ und bei besonderen Gelegenheiten dichter ans Feuer rückte. Dies geschah insbesondere dann, wenn ein Gewitter heranzog. Man war dann des Glaubens, daß das Haus vor Blitzschlag bewahrt werde. Es ist noch nicht beachtet worden, daß diese Verwendung des Julblocks als Blitzabwehrer einen wichtigen Schluß erlaubt. Zum Schutz vor Blitzeinschlag ist das Blitzfeuer selbst geeignet; denn ähnliches wird durch ähliches bewirkt und abgewehrt. Diese Abwehrmittel sind meist auch als Mittel bekannt, das Blitzfeuer herbeizuziehen. Es sind vor allem die Feuervögel – Storch, Schwalbe und Rotkehlchen – die Feuerblumen – Kräuterwisch, Donnerbart, Wetterkerze – und die Donnerkeile. Bei den letzteren ist die Doppelseitigkeit des Anziehens und Abwehrens besonders deutlich und ihr Ursprung klar ersichtlich. Weil der Donnerkeil selbst Blitzfeuer ist, kommt das Blitzfeuer nicht hin. Wo der Feuervogel nistet, und ebenso wo das heilige Feuer, das als aus dem Holz geriebenes Feuer selbst göttlicher, himmlischer Herkunft ist, rein erhalten ist und seine Weihe nicht verloren hat, schlägt der Blitz nicht ein. Während des Gewitters muß man daher dafür sorgen, daß das Herdfeuer, das durch den täglichen Gebrauch seine göttliche Kraft einbüßt, seine ursprüngliche Weihe wiedergewinnt. Das Feuer muß also, wie auch bei anderen Gelegenheiten, geweiht werden. Das geschieht dadurch, daß man den Kräuterwisch ins Feuer schiebt. Wenn also der Julklotz bei Gewitter ins Herdfeuer gerückt wird1, so folgt daraus, daß er der Träger des heiligen Feuers ist, d. h. daß in ihm das wilde Feuer, das Blitzfeuer wohnt. Daraus ergibt sich weiter, daß das Feuer, an das der Julblock das erste Mal angelegt wird, durch Holzreiben erzeugt sein mußte. Tatsächlich ist in Schweden noch das Anzünden des Feuers am Weihnachtstage mit dem Holzfeuerzeug überliefert2. Es muß eine einst im germanischen Kreis weitverbreitete alte Sitte sein.

Wenn dieses neuerzeugte Feuer sich nicht als kräftig und heilsam erwies, wenn z. B. Krankheit unter dem Vieh ausbrach, so war das sicherste Heilmittel die wiederholte Feuererneuerung. Noch aus dem vorletzten Jahrhundert ist dieser bereits altindogermanische Brauch der Herderneuerung aus Anlaß einer Viehseuche mehrfach bezeugt. Im ganzen Dorf wurde alles Feuer und Licht gelöscht, und dann wurde an altgewohntem Orte neues Feuer mit dem Holzfeuerzeug hergestellt. Mit diesem reinen neuen Feuer entzündete man einen Scheiterhaufen, zu dem jeder Hausstand Holz gestiftet hatte, und trieb das Vieh durch das Feuer.

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Man sprang wohl auch selbst über den Scheiterhaufen und nahm dann ein brennendes Scheit mit, um das Herdfeuer im Hause wieder in Brand zu stecken. Dieses neue Feuer ist das „Notfeuer“, das heißt Reibefeuer, nämlich durch Reiben von Holz hergestelltes Feuer, oder auch das „Wilde Feuer“. Wie das Blitzfeuer kann also auch das mit dem altertümlichen Holzfeuerzeug hergestellte heilige Feuer Wildes Feuer heißen. Dieser Name bezeichnet das Notfeuer deutlich als heiliges kosmisches Feuer, und stellt es in Gegensatz zu dem Hausfeuer als dem gezähmten und durch täglichen Gebrauch verunreinigtes Feuer. Eben weil das Herdfeuer nach altem Glauben durch den täglichen Dienst, den es den Menschen erweisen mußte, seine göttlichen Kräfte allmählich einbüßte, war man früher darauf bedacht, es in bestimmten Zeitabständen zu erneuern, um so auf seinem Herd als dem Altar des Hauses das göttliche Element in seiner ursprünglichen ungeschwächten Macht gegenwärtig zu haben. Nur zu dem reinen, frischen Feuer kehrten die Ahnenseelen ein, und nur die unentweihte Flamme gewährte Haus und Hof Schutz, Glück und Gedeihen.

Bedenkt man dies alles, so wird man auch die merkwürdige Zwiespältigkeit der Bedeutung des Blitzfeuers im Volksglauben richtig verstehen. Die bisherigen Betrachtungen darüber haben allzusehr außer acht gelassen, daß durch die Bekehrung zum Christentum im Volksglauben weithin Änderungen hervorgerufen wurden, die mitunter sogar völlige Umkehrungen darstellen. Die Zwiespältigkeit in der Einschätzung des Blitzes erklärt sich nur als christliche Umwertung eines heidnischen Glaubens, der immerhin doch teilweise erhalten blieb. Einmal ist das, was der Blitz trifft, geheiligt und geweiht, mit besonderer Macht erfüllt und als Amulett geeignet und gesucht. Am bekanntesten und verbreitetsten ist der Donnerkeil, ein keilförmiger Stein, der nach dem Volksglauben im Blitz in die Erde fährt3. Dieselbe Amulettkraft hat auch der Span eines vom Blitz getroffenen Baumes.

Damit im Widerspruch steht die Auffassung, daß der Mensch, den der Blitz trifft, von Gott verdammt ist. Das Gewitter gilt vielfach als Ausdruck des göttlichen Zornes; wenn es donnert, sagt man, schilt Gott. Wen Gott mit seinem Blitz tötet, „der hat der Leute Lob nicht“. Der Blitz trifft Frevler und Verbrecher: „Meineidige, Kirchenräuber, Sonntagsschänder, Undankbare, Brotverschwender werden vom Blitz getroffen.“ Aus der Oberpfalz wird berichet: „Das Vieh, das auf diese Weise ums Leben kommt, erhält der Schinder“4. Die christliche Umwertung und Vereinseitigung des alten germanischen und indogermanischen Blitzglaubens wird besonders deutlich in den Überlieferungen des Weichsellandes. „Ein Mensch, der vom Blitz getroffen wird, ist stets in der Gewalt des Teufels.“ Ferner: „Wenn der Blitz einschlägt, will der Teufel eine Seele“5. Diese Auffassung scheint den Rückschluß nahezulegen, daß die heidnische Anschauung hergestellt wird, wenn an die Stelle des Teufels der heidnische Gott gesetzt wird. Das bestätigen die Überlieferungen des griechischen und römischen Altertums, die uns in diesem Falle zur Erschließung eines germanischen Glaubens dienen können. Wie noch bei Slawen und Kaukasusvölkern das Erschlagenwerden durch den Blitz als eine hohe Auszeichnung angesehen wurde – man beglückwünschte im Kaukasus dazu die Verwandten des Erschlagenen – so wurde in Griechenland der vom Blitz Getroffene als vergöttlicht aufgefaßt: „Der vom Blitz Getroffene wird wie ein Gott verehrt“ (Artemidor) und zwar als „von Zeus auserwählt“. Als Beispiele aus den Mythen sind anzuführen: die Vergöttlichung der Semele, des Herakles (sein Holzstoß wird von Zeus mit dem Blitz entzündet) und des Asklepios6. Im alten Rom galten Stätten und Gegenden, die der Blitz getroffen hatte, als heilig. „Auch der vom Blitz erschlagene Mensch galt nach den Gesetzen Numas als geweiht. Wurden Personen hohen Standes von dem Blitz nur berührt, ohne getötet zu werden, so durften sie dieses als ein sicheres Zeichen der höchsten Ehre für ihre Nachkommen halten“7. Bedenkt man den heroischen Charakter der germanischen Religion, so ist nicht der geringste Zweifel daran möglich, daß der Germane einst denselben Glauben über den vom Blitz getroffenen Menschen hatte wie der indogermanische Grieche und Römer8.

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Während in Deutschland sich in christlicher Zeit nur noch der Glaube an Blitzbehelligung von Gegenständen, insbesondere von Bäumen, erhielt, blieb im Kaukasus bei den indogermanischen, nämlich iranischen Osseten auch der Glaube, daß der vom Blitz geroffene Mensch zu den Göttern entrückt werde, in der Zeit nach der Annahme des Christentums bewahrt. An die Stelle des heidnischen Himmelsgottes als des Herrn über Blitz und Donner trat hier – wie auch anderwärts – der heilige Elias. Klaproth hat in seinem Bericht über seine Reise in den Kaukasus eine ausführliche Schilderung über den Blitzglauben der Osseten gegeben, die hier noch angeführt sei.

Klaproth schreibt 9: „Wenn jemand vom Blitz erschlagen wird, so halten sie denselben für sehr glücklich, denn sie meinen, der heilige Elias habe ihn zu sich genommen. Die Hinterbliebenen erheben dann ein Freudengeschrei, singen und tanzen um den Erschlagenen, alles strömt herbei, schließt sich an die tanzenden Reihen und singt O Ellai, Ellai, elbaer Tschoppei, d. i. „O Elias, Elias, Herr der Felsengipfel“. In einem taktmäßigen Ringeltanz wiederholen sie diese Worte, bald vorwärts, bald rückwärts, indem einer vorsingt und der Chor wiederholt. Dem Erschlagenen werden nach dem Gewitter neue Kleider angelegt, und man legt ihn, auf demselben Platz, in eben der Lage, wo er erschlagen worden, auf ein Polster und fährt bis in die Nacht mit Tanzen fort. Die Verwandten singen, tanzen und stellen sich ebenso vergnügt, wie an einem Freudenfeste, denn eine betrübte Miene wird für eine Sünde gegen den Elias und für strafbar geachtet. Dies Fest dauert acht Tage, worauf der Erschlagene mit vielen Festlichkeiten und Schmausereien begraben wird, und man auf seinem Grabhügel einen hohen Steinhaufen errichtet. Neben dem Steinhaufen richtet man eine große Stange mit dem Felle eines schwarzen Ziegenbockes, und eine andere mit den besten Kleidern des Erschlagenen auf.“

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Anmerkungen

1 H. Freudenthal, Das Feuer im deutschen Glauben und Brauch, 1931, 122 f.
2 N. Keyland, Julbröd, 1919, 40; vgl. L. Weiser-Aall, Handwb. Abergl. u. Weihnacht II B 11.
3 Handwb. Abergl. II 534 ff.; Freudenthal, a. a. O. 19.
4 Freudenthal, a. a. O. 18.
5 Fr. Hempler, Das Gewitter im Volksglauben, 1928, 14.
6 E. Rhode, Psyche, I, 320.
7 Preller, Röm. Myth. I, 181, 3, 193 f.
8 Dazu paßt, daß der Blitz nach nordischer Auffassung durch Thors Hammer verursacht wird, und dieser ebenfalls als Amulett getragen wurde (in der Übergangszeit zum Christentum auch als Bekenntnis zum Heidentum, den getragenen Christenkreuzen entgegengesetzt). (Anmerkung: J. R.)
9 Klaproth, Reise in den Kaukasus II, 1814, 606.