Geschrieben von: Dr. Wielant Hopfner
Die Nacht vom 30.4. zum 1.5. eines jeden Jahres, vom letzten Ostermond zum ersten Tag des Wonnemondes, war für unsere Vorfahren von besonderer Bedeutung. Gerade dann, wenn die Frühlingswinde mit Macht über die Berge rauschten, wenn es in den Wipfeln der Bäume heulte und krachte, wenn es erkennbar wurde, daß die Gewalt des Winters gebrochen war, feierten sie das alte heidnische Frühlingsfest. In dieser Nacht versammelten sich im Harz die alten Sachsen zu ihrem großen Opferfest, zündete Freudenfeuer an und begrüßten den Lenz mit Liedern, Tänzen und festlichen Reden. Lustig und fröhlich ging es zu, und man war eines Sinnes mit seinen Göttern.

Nach dem Sieg Karls „des Großen“ über die Sachsen und dem Beginn der christlichen Zwangsmissionierung wurde alles anders: Jetzt war es bei Todesstrafe verboten, sich an den alten P1ätzen zu treffen, die alten Lieder zu singen oder seine Götter zu schauen. Die weisen Frauen, die man bei diesen Zusammenkünften um Rat gefragte hatte, und denen man einen eigenen Sitz im „hag“ (Hain) gewidmet hatte, wurde von der „hagszisse“ (der im hag Sitzenden) zur „Hexe“ umbenannt. Ein frevelhaftes Bündnis mit dem Teufel wurde diesen in vielen Dingen erfahrenen und wissenden Frauen angedichtet. Ihre Kenntnisse wurden als Zauberei, Teufelswerk und Ketzerei denunziert. Dennoch kamen auch nach dem Verbot heidnischer Feste oftmals weise Frauen und die ihnen weiterhin vertrauende Bevölkerung in den heiligen Hainen zusammen, um die alten Bräuche zu vollziehen.

Das ging auch einige Zeit gut, denn das Land war noch dünn besiedelt, und christliche Priester waren manchmal weit. So konnte zunächst kein christlicher Heilsverkünder diese heidnischen Feiern unterbinden. Da die christliche Überzeugungskraft sowieso nicht ausreichte, zogen die militanten Missionare nun andere Saiten auf. Die alten Götter wurden zu Teufeln und Zauberern erklärt, diejenigen, die ihnen huldigten, galten als Besessene, Hexer und Hexen. Nun ging es Schlag auf Schlag.

Im Jahre 1398 erklärte die Theologische Fakultät der Pariser Universität die „Teufelsbündnisse“ der Hexen für Tatsache. Wenig später fand in Arras ein großer, blutiger Hexenprozeß statt, bei dem bereits eine genaue Schilderung eines „Hexensabbats“ erfolgte.

Ein Inquisitionsrausch nie gekannten Ausmaßes erfaßte Europa. Deutschland versank in einer Flut von Hexenprozessen, als Papst Innozenz VIII. im Jahre 1484 in seiner Bulle “ Summis desiderantes affectibus „ über Hexenzauberei in Deutschland klagte.

Auf seine Veranlassung schrieben zwei Dominikaner, Heinrich Institoris (Krämer) und Jakob Sprenger das „fluchwürdigste “ Buch, das je erschienen ist, das berüchtigte “ Malleus Malefi- carum „, zu deutsch “ Hexenhammer „. Es wurde christliches Standardwerk und erschien in 30(!) Auflagen, letztmalig 1669.

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Mehr als 9 Millionen Menschen, vor allem Frauen, wurden von der christlichen Kirche als „Hexen“ ermordet .

Wer einmal vor den Inquisitoren stand, hatte keine Chance zu überleben. Leugnete er unter Folter, war er verdächtig, die Hexenkunst der Verschwiegenheit zu beherrschen. War er unter Oualen zu jedem Geständnis bereit, hatte er damit sein Todesurteil gesprochen. Neben Daumenschrauben, Knieschrauben und Streckvorrichtungen empfahl die christliche Kirche die „Wasserprobe“: Ging ein gefesselt in den Fluß geworfener Angeklagter unter, war er unschuldig – aber tot. Konnte er sich über Wasser halten, hatte der Teufel die Hand im Spiel. und der Betreffende wurde verbrannt. Selbst Kinder von drei Jahren endeten in den Flammen. Unzählige Opfer starben in den Kerkern „vom Teufel geholt“, was schlicht bedeutete, daß sie die Oualen der Folter nicht überlebten.

Erst dem Gelehrten Christian Thomasius gelang es zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit seiner Schrift “ Dissertatio de crimine magiae “ (1701) erfolgreich gegen den christlichen Wahn vorzugehen.

Im Jahre 1782 fanden noch nachweislich im deutschen Sprachraum Hexenverbrennungen statt. Aber noch 1895 schrieb ein offizielles Organ der christlichen Kirche: „Oh ihr gesegneten Flammen der Scheiterhaufen! Durch Euch wurden nach der Vertilgung einiger ganz und gar verderbter Menschen Tausende von Seelen von Irrtum und ewiger Verdammnis gerettet . . . Oh erlauchtes und ehrwürdiges Andenken Thomas Torquemadas!“ (Dieser Inquisitor hatte rund 2.000 Ketzer verbrennen lassen).

Aus dem alten heidnisahen Frühlingsfest hatte die Kirche einen „Hexensabbat“ gemacht. Das Volk sollte Angst haben vor den „Teufeln“, die angeblich in Bocksgestalt durch die Lüfte ritten. Es sollte seine weisen und in vielen Dingen erfahrenen Frauen hassen und verachten.

Papst Innozenz VI. hatte in seiner Hexenbulle unterschieden zwischen „Menschen, Thieren und Weibern“. Frauen waren nach christlichem Verständnis „mißglückte Männer“, in der Gemeinde hätten sie – laut Apostel Paulus – zu schweigen, ihrem Mann müßten sie „untertan“ sein. Ihr Daseinszweck diene nur der Fortpflanzung und der „Eindämmung der Hurerei“, behaupteten die christlichen Kirchenlehrer. Der wichtige Lebensbereich der medizinischen Versorgung des Volkes wurde den Frauen im Zuge der Hexenverfolgung entrissen. Frauen hatten bisher stets bei der Geburt geholfen, kräuterkundige Frauen hatten eine Art Volksmedizin entwickelt, die sich weitgehend mit natürlichen Heilweisen befaßte. Frauen gaben dieses Wissen an die nächste Generation weiter. Sie, die Naturverbundenen, traf die christliche Hexenjagd ganz besonders. Ihre Kenntnisse über die Natur wurden für teuflische Künste oder Geheimnisse gehalten, die den kirchlichen Amtsträgern, die sich anmaßten, von allem wissen zu müssen, verschlossen waren.

Die von den Christen künstlich erzeugte Hexenfurcht drang auch in das Brauchtum des Volkes ein. Krach und Übermut der Kinder – früher Ausdruck der Freude über den Sieg des Frühlings – wurde nun als Vertreiben der bösen Hexen umgedeutet. Grusel- und Spukgeschichten sollten das Gesinde ängstlich hinter dem Ofen halten. Mit Kreide auf die Türen gemalte Kreuze sollten Hexen abwehren, Knechte und Mägde stellten an diesem Tage ihr Werkzeug kreuzweise vor die Scheunentür. Man versteckte die Besen, damit sie von den „Hexen“ nicht zum Luftritt benutzt werden konnten. Sogar in den Märchen wurde Antlitz und Gestalt der Hexe festgelegt: Lange, krumme Nase, zusammengewachsene Brauen, triefende Augen und einen Höcker auf dem Rücken. Für das Böse, das Unglück, mußte ein Sündenbock herhalten, an dem man sich für unerklärliche Unbill rächen konnte. Heute, in einer Zeit breitangelegter Abkehr von der christlichen Pseudophilosophie, scheint es, als dämmere ein neues Hexenzeitalter herauf, wenn auch zum G1ück in anderer Weise als im christlichen Mittelalter.

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Nicht nur wir in der Artgemeinschaft begreifen die verbrecherische Hexenverfolgung der Kirchen als Veranstaltung zur Unterdrückung der Frauen. Auch Menschen, die uns noch nicht kennen und uns daher fernstehen, tun dies. Feministinnen tragen die „Hexe“ als Ehrentitel, in Berlin haben zwei bekannte und durchaus nicht furchteinflößende Köchinnen ihr Lokal „Hexenküche“ genannt.

In Frankfurt/M. lädt ein „Workshop für Hexen“ zum Nachdenken über sich selbst ein. In den angelsächsischen Ländern gedeihen Hexenkulte und entwickeln sich teilweise zu einer „Religion der Mutter Erde“. Allerlei esoterische Zirkel pflegen die Geisterbeschwörung zur mitternächtlichen Stunde. Leider driften viele von ihnen ab in eine sehr muffige Ecke, fern von jener sinnenfrohen Grundhaltung unserer Vorfahren, und ereifern sich genauso verbissen „für“ die Hexen, wie dies mehr als 600 Jahre lang die christlichen Inquisitoren gegen die Hexen taten.

Im vorigen Jahr wurden die Hexen bei uns gleichsam offiziell anerkannt: Die Bevollmächtigte der Hessischen Landesregierung für Frauenfragen, Staatssekretärin Marita Haibach, enthüllte in Gelnhausen ein Hexendenkmal. Das bronzene Standbild soll an die in Gelnhausen von den Christen gefolterten und ermordeten Hexen erinnern. Wir bewerten dies als ein hoffnungsvolles Zeichen zur Wiederherstellung der Ehre dieser Opfer christlichen Wahnsinns.