Geschrieben von: Dr. Karl Haiding
Unter dem Druck der christlichen Eiferer, die sich im Gefolge Karls des Grossen die Macht anmassten, musste jeder bei der Taufe den Glauben an die Weihenächte abschwören. Aber noch heute sind Volksglaube und Volksbrauch mit dieser Festeszeit innig verbunden.

Image

Mag auch im Laufe von Jahrhunderten vieles vorsätzlich zerstört worden sein, so vermögen wir doch den Gehalt des Festes in all seinem Reichtum zu erkennen. Schon der Name Weihnachten führt uns dem Sinne näher. Die Mehrzahlform, mittelhochdeutsch „zeihen nechten“ zeigt, dass das Fest sich ehedem über eine längere Zeit erstreckte. Nicht die Tage werden genannt, sondern die heiligen Nächte, da der Name noch aus einer Zeit stammt, in der die Germanen nach Nächten rechneten. Die Bezeichnung „Jul“ , die wir schon aus früherer Zeit kennen, galt von Anfang an einer Iängeren Festeszeit. Verbreitung und Vielfalt weisen auf ein hohes Alter. „Giuli“ nannten die Angelsachsen die Monate Dezember und Januar, „fruma jiuleis“ (erster Julmond) war der gotische Name für den November.

In den meisten deutschen Landschaften bilden zwölf geweihte Nächte, heilige Nächte, Rauhnächte, auch „Zwischen den Jahren“ oder einfach „Zwölften“ genannt, eine geschlossene Festeszeit. Während aber in Schlesien, wie in Schweden, die Zwölften vom 13. Dezember, dem Tage der „heiligen Luzia“ , der christlichen Ersatzgestalt für unsere heimische Berchta, bis zum „heiligen Abend“ reichen, beginnen sie sonst fast überall erst an diesem Tag und währen bis zum Perchtelabend (5. Januar). In Kärnten aber kennt man drei heilige Abende oder Rauhnächte, am 24. und 31. Dezember und am 5. Januar, die auch in Niederösterreich und Steiermark besonders hervortreten, und in Thüringen drei „heilige Nächte“ . Ihnen entsprechen in älterer Zeit im germanischen Norden die drei letzten Nächte der Zwölften, bei denen anschliessend an ein Totengedenkfest ein Festmahl gehalten wurde.

 Image

Schon diese Vielfalt, wie das Hervortreten dreier Nächte, ja die Zählung und Benennung nach Nächten überhaupt, widerlegen die Behauptung, dass die Festeszeit der Zwölften aus dem Abstand zwischen dem Tage von „Christi Geburt“ und „Dreikönig“ hervorgegangen sei. Dazu kommt, dass die gleiche Festesfrist bei anderen arischen Völkern, bei Indern, Iraniern, Griechen und Römern, mit ähnlichem Gehalt aus vorchristlicher Zeit bezeugt ist. Die Ansetzung der kirchlichen Festtage ist das Ergebnis einer geschickten Angleichung an den Mithraskult, mit dem das Christentum in Wettbewerb trat, und an bodenständige Volksanschauungen. Das Christentum, das als späte Religionsform ursprünglich keine Feste besass und bei einer jenseits gerichteten Einstellung auch keinen Grund sah, eine irdische Geburt zu feiern, war allmählich doch genötigt, sich Feste zu schaffen. Während noch im dritten Jahrhundert die „Feier der Geburt Christi“ als heidnische Unsitte bekämpft worden war, setzte man sie im Jahre 354 auf den 25. Dezember fest, nachdem sie vorübergehend im März, April und November abgehalten wurde. Dieser zeitliche Ansatz war durch den Mithraskult veranlasst, denn seit dem dritten Jahrhundert feierte man in Rom den 25. Dezember als den Tag des unbesiegten Sol, der als Gegner des stiertötenden Mithras galt. Dazu war um so eher Anlass geboten, als das Christentum mit dem Mithraskult zahlreiche Züge gemein hatte, wie die Geburtslegende, die Verehrung durch die Hirten, die Lehre von der Auferstehung des Fleisches. So war es aber auch schwer, eine Grenze gegen den Wettbewerber zu ziehen, und wenige Jahre später musste der Kirchenvater Augustinus erklären: „Wir feiern den 25. Dezember nicht wegen der Geburt der Sonne, wie die Ungläubigen, sondern wegen der Geburt dessen, der die Sonne erschaffen hat.“

Den kirchlich angesetzten Feiertagen am 25. Dezember und am 6. Januar steht in der nordischen Überlieferung eine längere Festeszeit gegenüber, die nach Nächten benannt ist. Bis in die Gegenwart ist sie erfüllt von reichem Brauchtum, besonders durch Umzüge zahlreicher Gestalten, die trotz ihrer auf den ersten Blick verwirrenden Vielfalt übereinstimmende Züge aufweisen und selbst in christlicher Verbrämung noch überall die volkseigenen Anschauungen erkennen lassen. So wirkt ein „Christkindlein“ auf den ersten Blick befremdend, das durch ein erwachsenes Mädchen dargestellt wird und in weiblicher Gewandung umherzieht. Diese nach dem christlichen Dogma völlig unerklärliche Gestalt verstehen wir sofort aus Gegenstücken anderer Landschaften. Denn dort wandert Frau Perchta umher, oder die Gabe bringende „Budelmutter“ oder „Lutzelfrau“, die allein, oft aber auch in Begleitung gegensätzlicher Gestalten, die Menschen aufsucht. Auch die heilige Barbara bringt an ihrem Kalendertage den Kindern Geschenke. Sie ist an die Stelle einer der drei Perchten getreten, wie die Luzia, auf die der Name „Lutzelfrau“ hinweist, die im Brauchtum der Weihnachtszeit eine wesentliche Stelle einnimmt. Wie im Elsass das weibliche Christkind, so bringt in Schweden Luzia mit einem Kranz brennender Kerzen im Haar allerlei Gaben. Der Begleiter des Lichtkindes ist dort Hans Trapp, in ein Fell gekleidet und mit Rute und klirrender Kette ausgerüstet. Auch sonst gesellt sich zu der freundlichen Gestalt eine böse, hässliche und schreckende. Mit dem guten Klaus, der einst in der Schweiz den Weihnachtsbaum brachte, zieht der böse Klaus oder Schmutzli, geschwärzt und lärmend. Wie in Kärnten der christliche Nikolaus von der Habergeiss begleitet wird, zog in Pommern mit dem Ruprecht der Klapperbock und in Schweden mit den Sternknaben der Julbock. Luzia selbst trat in Deutschböhmen als Ziege auf, die „Eisenberta“ in Mittelfranken als Kuh. Während in Bayern einst drei Perchten auf ihrer nächtlichen Wanderung in jedem Hofe Gaben empfingen, gesellt sich in Kärnten zu den drei schönen Perchten eine vierte, „schiache“ (hässliche). Eine von den drei Schönen kehrt in jedem Hause den Boden. Wir finden sie in einem schlesischen Weihnachtsspiele als dort unverstandenes „Kehrweibel“ in Gesellschaft eines abermals weiblichen „Christkindes“ wieder. An Stelle des Schimmelreiters, der oftmals die Gaben bringt, und für dessen Ross die Kinder Hafer auslegen, wird hie und da nur der weisse Schimmel als Spender der Geschenke erwartet, in Nordböhmen das goldene Rösslein, manches Mal auch der goldene Wagen.

Diese, hier nur angedeutete Vielfalt ist die Spiegelung einer grossen, einheitlichen Weltanschauung, die in Bräuchen und Sagen Gestalt gewann. Gemeinsame Züge weisen die landschaftlichen Ausgestaltungen in ein gemeinsames Ganzes ein. Gewöhnlich ziehen gegensätzliche Gestalten in den Rauhnächten und an anderen Festzeiten um. Eine helle oder deren drei und eine dunkle. Je nach der landschaftlichen Eigenart sind sie männlich oder weiblich gedacht, ja sie können auch in Tiergestalt auftreten, wie in Märchen und Liedern.

Die Märchen sind es ja auch, von denen wesentliches Licht auf das Brauchtum der Weihnachtszeit fällt. Zwei Märchenkreise können hier vor allem Aufschluss geben. Uns allen ist aus der Kindheit das Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren bekannt (Grimm):

Dem Sohn einer armen Frau wird bei der Geburt geweissagt, dass er mit 14 Jahren die Tochter des Königs heiraten werde. Der König, der das bald erfährt, trachtet dem Knaben nach dem Leben. Auf sein Anerbieten, das Kind aufzuziehen, überlassen es ihm die Eltern in der Hoffnung, dass dem Glückskind schliesslich doch alles gut ausschlagen werde. Der König aber wirft den Knaben in einer Schachtel in den Fluss. Das Kind wird von einem Müller herausgefischt und wächst bei ihm auf. Als der König den herangewachsenen Knaben wieder trifft, schickt er ihn mit einem Brief, der seine Tötung befiehlt, an die Königin. Doch der Brief wird unterwegs vertauscht, und nach seinem neuen Inhalt vermählt die Königin den Jungen mit ihrer Tochter, ehe der König heimkehrt. Auch den neuen Nachstellungen entgeht der Knabe. Er löst alle Aufgaben, bis schliesslich sein Widersacher umkommt.

Bei diesem Märchen, das frühzeitig und weit mehr als andere Teile des Sagengutes in die Dienste weltlicher und geistlicher Macht gestellt wurde (Reichsgründer und Religionsstifterlegende), fehlt in der Grimmschen Fassung ein wichtiger Zug der Einleitung. Wohl wird erwähnt, dass dem Kinde eine grosse Zukunft geweissagt wurde, doch nicht auf welche Weise und von wem. Sehr schön erzählt uns das ein nahe verwandtes albanisches Märchen: Ein reicher Mann kehrt an einem Abend in einer ärmlichen Hütte ein, als die drei Schicksalsfrauen, die hier noch nach den altgriechischen Moiren als Miren bezeichnet werden, kommen und dem neugeborenen Knaben sein Schicksal künden. Auf einem Tisch sind Speise und Trank für sie bereitet, drei Messer, drei Teller, drei Schnitten Brot und alles Silbergeschirr des Hauses. Als die drei Frauen gegessen haben, bestimmen sie den Knaben zum Erben und Schwiegersohn des Reichen. Diesem gefällt das gar nicht, und am anderen Morgen erbietet er sich, das Kind aufzuziehen. Er wirft es aber unterwegs in eine Felshöhle, in der Hoffnung, dass es dort umkomme. Doch eine der Schicksalsfrauen holt aus einer nahen Herde eine Ziege in die Höhle, die den Knaben säugt und so oft wiederkehrt, bis es den Hirten auffällt, und sie den Knaben finden. Bei ihnen wächst er auf, um später alles zu erreichen, was ihm die Miren vorher gesagt hatten.

Die drei Schicksalsfrauen an der Wiege des Neugeborenen sind ein geläufiges Bild der germanischen Überlieferung. An die Wiege des jungen Nornagest (sein Name bedeutet… „den, bei dem die Nornen zu Gaste sind“) treten drei Frauen, die ihm die Zukunft bestimmen. Eine von ihnen wird gekränkt und setzt fest, dass der Knabe nur so lange leben solle, bis die Kerze zu seinem Haupt verbrannt sei. Da Iöscht eine der anderen Nornen die Kerze, die sie der Mutter des Knaben übergibt und mildert so den Spruch. Dieser Urteilsspruch der gekränkten Schicksalsfrau, den ihre Schwester bessert, erinnert uns an das Märchen vom Dornröschen, wo die dreizehnte weise Frau nicht zu Gaste geladen wird und darum Böses wünscht.

Auch im isländischen Märchen ist das neugeborene Kind ein Mädchen. Als die Herzogin einmal im Wald einschläft, treten drei Frauen in schwarzer Kleidung vor sie hin und sprechen: „Wir wissen, dass du dir schon lange ein Kindlein wünschest. Geh zum Bach, dort wird eine Forelle schwimmen. Trinke so, dass dir die Forelle in den Mund schwimmt. Du wirst dann gleich guter Hoffnung werden. Wenn die Zeit kommt, da du das Kind gebierst, werden wir dich aufsuchen, denn wir wollen ihm den Namen geben.“ Die Herzogin erwacht, geht zum Bache und trinkt die Forelle hinab, wie ihr die Frauen gesagt haben. Als sie ein schönes Mädchen gebiert, kommen die drei Frauen, und sie nennen sich nur die „Blauröcke“. Ein altes Weib, das sie empfängt, bietet aber nur zweien von ihnen Speisen dar und behält das der jüngsten Gehörende für sich, worüber diese sehr erzürnt ist. Die älteste der Blauröcke nimmt als erste das Kind und spricht: „Du sollst Märthöll heissen nach meiner Mutter. Das bestimme ich dir, dass du durch Schönheit ausgezeichnet sein sollst vor allen Frauen. So oft du weinst, werden deine Tränen zu Gold werden. Das sollst du vor allen Frauen voraus haben, die es je gegeben hat.“ Danach gibt sie das Kind ihrer Schwester, die spricht: „Du sollst Märthöll heissen nach meiner Mutter und ich wünsche dir das Gute, das dir meine Schwester bestimmt hat. Du sollst einen angesehenen Königssohn zum Manne bekommen, und ihr werdet euch von Herzen zugetan sein.“ Dann nimmt die jüngste Schwester das Mädchen, aber zornig, weil sie zurückgesetzt worden ist, und sagt: „Du sollst all das Gute von mir haben, das dir meine Schwestern verheissen haben. Weil mich deine Mutter aber ohne Grund gekränkt hat, so lege ich das auf dich, dass du in der Hochzeitsnacht zu einem Vogel wirst. Nur in den ersten drei Nächten kannst du auf kurze Zeit die Haut abwerfen, später nie mehr. Von diesem Unheil kannst du nur befreit werden, wenn jemand in der dritten Nacht die Vogelhaut verbrennt.“ – Der Unheilsspruch bewahrheitet sich, aber der Königssohn befreit seine Liebste aus der Vogelgestalt, da er in der dritten Nacht die Vogelhaut ins Feuer wirft.

Die gleichen Gaben verleihen die Schicksalsgestalten aber nicht nur dem Kinde, das sie an der Wiege aufsuchen, sondern auch dem Mädchen, dass zu ihnen in die andere Welt kommt, um ein kostbares Gut zu erlangen. Das deutsche Märchen „Die drei Männlein im Walde“ (Grimm) erzählt, wie das arme Mädchen von der Stiefmutter im kalten Winter in den verschneiten Wald geschickt wird, in einem dünnen Kleide und nur mit einem trockenen Brote versehen, um Erdbeeren zu holen. Das Mädchen ist dankbar, als es im Walde in der Hütte der drei Haulemännchen Obdach findet und sich wärmen kann. Es teilt noch sein kärgliches Brot mit den Männchen. Diese erweisen sich freundlich und befehlen ihm, den Schnee vor der Türe wegzukehren. Als es Folge leistet, da findet es unter dem Schnee reife, rote Erdbeeren, ein ganzes Körbchen voll. Die drei Haulemännchen belohnen es aber noch auf besondere Weise für ihr edles Gemüt. Der eine verleiht ihm Schönheit, der andere die Gabe, dass ihm bei jedem Worte ein Goldstück aus dem Munde fällt, der dritte bestimmt, dass es ein Königssohn als Braut heimführt.

Die drei Haulemännchen sind also die gleichen Schicksalsgestalten, wie die drei Schwestern des isländischen und des albanischen Märchens, nur wie auch sonst öfters in männlicher Ausprägung. Sie verleihen dem Mädchen die gleichen Gaben wie die drei „Blauröcke“. Die Übereinstimmung beider Märchen geht aber noch weiter. Denn als das Mädchen nach der Bestimmung der Haulemännchen Königin wird, da erleidet sie ein ähnliches Missgeschick, wie es Märthöll von der jüngsten Schicksalsschwester zugesagt wird. Wie die junge Königin ein Kind zur Welt bringt, da kommen ihre hässliche Stiefschwester und die hinterhältige Stiefmutter an den Hof und werfen die Wöchnerin in den vorbeifliessenden Strom. In den nächsten drei Nächten aber kommt eine Ente durch die Gosse geschwommen und spricht den Küchenjungen an. Dann nimmt sie die Gestalt der Königin an, säugt das Knäblein und schwimmt in Vogelgestalt wieder fort. In der dritten Nacht, der letzten, in der sie befreit werden kann, schwingt der König das Schwert über sie und gewinnt ihr die menschliche Gestalt auf immer zurück.

Der Gegensatz beider Schwestern, deren eine durch die Gaben der Haulemännchen noch an Schönheit gewinnt, während die böse noch hässlicher wird, erinnert an das verwandte Märchen von Frau Holle. Wie in den Bräuchen so steht auch im Märchen an Stelle der drei Schicksalsfrauen, Hollen oder Perchten, deren eine. Wie zu den Haulemännchen geht das Mädchen zu Frau Holle in die andere Welt. Sie erlangt die Spindel in einem Reiche wieder, in dem Frühling ist, und die Blumen blühen, während auf Erden strenger Winter herrscht. Mit der Spindel gewinnt sie Schönheit und Gold. Wie die Stiefmutter aber das Mädchen zur Winterszeit in den Wald um Erdbeeren schickt, so muss es in anderen Märchen zur Frau Holle, Feuer zu holen, da im Hause alle Glut erloschen ist und niemand neues Feuer zu entzünden vermag. Da in der anderen Welt Frühling ist, findet sie dort auch die Blumen, nach denen sie in manchen Erzählungen die Stiefmutter im Winter ausschickt.

Die schöne Märthöll wird erst geboren. als ihre Mutter nach Jahren vergeblichen Wartens auf Geheiss der Schicksalsgestalten eine bestimmte Forelle schluckt. Das Heldenkind des Märchens ist wunderbar empfangen, und die drei Schicksalsgestalten werden daher vielfach als seine Mütter angesehen, denen das neue Leben zu verdanken ist. Das sind sie auch in anderer Weise, da sie das Kind mit Eigenschaften begaben, durch die es erst zu einem vollwertigen und hervorragenden Menschen wird. Aus dieser Anschauung werden uns die Mythen von Heimdall, dem Sohne von neun Müttern, verständlich, und von den Helden des Märchens, die als Kind dreier Mütter bezeichnet werden. Drei, neun, manchmal auch zwölf Schicksalsgestalten behüten das Wachstum des Heldenkindes, das jede mit einer besonderen Gabe ausstattet. Neun oder zwölf Schwestern hüten die Schöne, die in der goldenen Wiege schlummert. Einige der Hüterinnen bewegen sich stets im Tanze um das Kind. In diesen Vorstellungen wurzelt auch der mittelalterliche Brauch, unter Gesang um die Krippe des Lichtkindleins zu tanzen. In ähnlicher Art umtanzen die männlichen Hüter das eben geborene Knäblein in den griechischen Sagen von Zeus und Dionysos, die auch in anderen Zügen mit unserem Märchenstoffe übereinstimmen. Nach einer griechischen Sage hüten drei Schwestern den jungen Dionysos. Die ihn begleitenden Tänzerinnen werden auch Ammen genannt. Zur Winterszeit wurde er als Kind in der Wiege zu neuem Leben geweckt.

Image

Das neugeborene Kind als Sinnbild des ewig sich erneuernden Lebens findet sein Gegenstück nicht nur in Feuer, Frucht und Blüten, die in der Wintersnacht erlangt werden. Auch die Festesspeise, oft in Verbindung mit einem blühenden Zweig oder Licht, gilt als Sinnbild der Erneuerung. Der Held wird, kaum geboren, schon der einen Schicksalsfrau als Gatte bestimmt, und seine Taten haben nur das eine Ziel, zu ihr in die Aussenwelt zu gelangen und sie nach Überwindung aller Gefahren zu gewinnen.

An den Tagen der verchristlichten Schicksalsfrauen Katharina, Barbara und Luzia gehen die Mädchen hinaus, einen Zweig zu pflücken, dessen Blühen zur Weihnachtszeit ihnen Glück und baldige Hochzeit verheisst. Wie eng sie mit der Volksüberlieferung verbunden bleiben, zeigt ihre Ansetzung im Kalender, die nach der altarischen Mondrechnung erfolgt ist (25.11., 4.12. und 13.12.). Dreimal 9 Tage stehen ihnen zu. Nach den drei den Mondmonat abschliessenden Dunkelnächten wird der lichte Held geboren. Die Mondrechnung zählt nach Nächten und beginnt mit dem Abend. In ihr liegt es auch, wenn wir die Geburt des Kindes am Abend feiern. Dass sie aus dem winterlichen Walde neben den „Barbarazweigen“ und „Luziazweigen“ geholten immergrünen Reiser als Geschenk der Schicksalsfrauen gelten, bezeugen nicht nur die vorchristlichen Namen, sondern auch altheimische. So deutet der alpenländische Name Perchtelboschn (Berchtelzweige) auf die Perchtel oder Berchta, von der diese Reiser stammen. Aber auch der Name der Festeszeit selbst weist auf die Schicksalsfrauen.

Bei den Angelsachsen hiess die heilige Nacht Modranicht-Nacht der Mütter; noch heute aber heissen die Zwölften in einzelnen deutschen Landschaften Mütternächte und in Schweden nennt man die Nacht vor Luzia Mutternacht, durchaus sinngemäss, da Luzia ja eine der drei Mütter dieses wundersamen Kindes ist. Den gleichen Sinn besitzt aber der Name Perchtenabend für den letzten Abend der Zwölften, vor dem Perchtentage. Volksglaube, Brauchtum und Sage stimmen auch hier völlig überein, denn gerade in den Zwölften ziehen die Perchten umher, von Hof zu Hof. Bis in die Gegenwart hat sich trotz wiederholter Verbote in den Alpen der Brauch erhalten, in diesen Nächten für Berchta und ihr Gefolge Speisen und den Tisch zu stellen, da sie jedes Haus aufsucht. Was hier jahreszeitlich gebunden erscheint, bezogen auf die Geburt des einen wundersamen Kindes, das kehrt im Brauchtum des Lebenslaufes wieder, wenn bei der Geburt eines Kindes Speisen für die Schicksalsfrauen bereitgestellt werden, deren nächtlichen Besuch man erwartet.

An die Stelle weiblicher Schicksalsgestalten treten, wie im Märchen von den Haulemännchen, auch männliche Wesen. Ask und Embla, das erste Menschenpaar der Edda, gelten als Kinder dreier Väter. Als drei Asen am Meeresstrande wandeln, da finden sie zwei Bäume und schaffen aus ihnen die ersten Menschen:

„Da kamen zum Meeresstrand mächtig und hold Aus diesem Geschlechte drei der Asen. Auf freiem Felde fanden sie kraftlos Ask und Embla, unsicheren Loses. Hauch und Seele hatten sie nicht, Gebärde noch Wärme noch blühende Farben. Den Hauch gab Odin, Hönir die Seele, Lodur die Wärme und leuchtende Farben.“ Auf germanischem Boden werden die drei Brüder, die das ausgezeichnete Kind behüten, oftmals zu Schmiedebrüdern. In der christlichen Legende sind es ursprünglich Magier, die zu dem wunderbaren Kinde kommen, um ihm Gaben zu bringen. Erst im 11. Jahrhundert werden aus ihnen allgemein die „heiligen drei Könige“, die im Volksbrauch sehr bald wieder Rückbildungen zur ursprünglichen Form erfahren. Die Hirten, die von den auf iranische Vorbilder zurückgehenden Schicksalsgestalten der Engel die Verkündung übernehmen, werden selbst zu Schicksalsgestalten, die das Kind hüten und beschenken. Diesen Überschneidungen gehen die frühen Bildwerke dadurch aus dem Wege, dass im Osten die Verehrung durch die Hirten dargestellt wird, im Westen vorwiegend die Begabung durch die Magier.

Im Westen finden wir aber noch eine andere bildliche Darstellung, die uns eine dritte christliche Legendengruppe erweist. Die Menschen treten gänzlich zurück, über das neugeborene Christuskind neigen sich Rind und Esel. Auch diese Fassung der Christuslegende verstehen wir mit Hilfe der Märchen, auch wenn keine schriftlichen Erläuterungen dafür bestehen. Der junge Zeus wird von einem Spechte und einer Ziege genährt, er besitzt, wie die meisten Mythenhelden, z.B. Romulus und Remus, eine Tieramme. Der eben geborene Siegfried schwimmt in einem Kästchen den Strom hinunter und wird schliesslich ans Land geschwemmt und von einer Hirschkuh gesäugt. Die Ziege wie die Hirschkuh sind Verwandlungsformen der Schicksalsgestalt. Dafür spricht neben manchen Märchen und dem Auftreten der Luzia als Ziege auch die griechische Sage von Amaltheia, die zuweilen als Mutter des wundersamen Dionysoskindes galt und sowohl als Nymphe als auch als Ziege erscheint.

Angesichts dieser Verwurzelung des weihnachtlichen Brauchtums erscheinen die literaturhistorischen Bemühungen um eine Geschichte des Weihnachtsbaums wenig erfolgreich. Man hat sich öfter bemüht, auf Grund spärlicher und zufälliger Nachrichten über die grünen Zweige in der winterlichen Stube und die Erwähnung des Lichterbaumes eine „Entwicklung“ des Weihnachtsbaumes zu erschliessen. Das mag für die heute gebräuchlichste Form des städtischen Weihnachtsbaumes, besonders soweit es die letzten hundert Jahre betrifft, angebracht sein. Der Volksüberlieferung aber ist auf diese Weise nicht beizukommen.

Bei genauem Zusehen ergibt sich die für viele überraschende Tatsache, dass selbst heute der Weihnachtsbaum in seiner uns geläufigen Gestalt nicht überall auf deutschem Boden üblich ist. Im kärntnerischen Mölltale z.B. finden wir nicht den Baum in der Stube, aber zu beiden Seiten des Haustores steht ein Fichtenbaum, dessen bändergeschmückter Wipfel bis über den First reicht. Sehr oft stellt der Kärntner Bauer ein einfaches, ungeschmücktes Fichtenbäumchen in die Ecke des Gehöftes oder zwischen Wohnhaus und Stall, ja vielfach auch auf den Brunnen oder auf den Düngerhaufen, dem der Baum nach der Volksanschauung besondere Kraft verleiht. An der gleichen Stelle stand der Baum einst auch im skandinavischen Norden, denn dort errichtete man zu Weihnachten die „Julrönn“. Ein Ebereschenzweig wurde mit seinen gabeligen Enden zusammengebunden und in diesem Kreisrund geschmückt. Wie in Kärnten die „Weihnachtsachsen“ zu beiden Seiten des Tores stehen, so bringt der schwedische Bauer links und rechts vom Gartentor auf einer hohen Stange Tannenwipfel an, auf die Garben für die Vögel gebunden werden. Die einstige schwedische Sitte, zwei Tannenbäume vor dem Hauseingang zu kreuzen, ist schon durch skandinavische Runenkalender bezeugt, die damit den Beginn der Weihnachtszeit anzeigen. Aber auch die Kärntner Sitte, den Brunnen in den Zwölften mit einem Baume zu schmücken, kehrt in anderen Landschaften wieder. Im Elsass richten die Mädchen am Neujahrstage am Brunnen eine Tanne auf und schmücken sie mit Eiern und Bändern. Am Abend wird der Schnee weggekehrt, und die Jugend tanzt unter Gesang um den Baum. Auch hier wird also das Sinnbild des neuen Lebens mit einem besonderen Tanze umkreist. Ebenso tanzt man im Mai und zur Sonnwende um den geschmückten Brunnen, der manches Mal auch mit Lichtern geziert wird.

Im Gegensatz zu den anderen Festen des Jahres, wo Festesbaum und Blüten im Freien stehen, bringt man sie zu Weihnachten meistens in die Stube. In Schweden wurde früher einfach eine Eberesche ohne jeglichen Schmuck ins Haus gestellt. In Thüringen brachte man schon am 30. November Zweige dieses Baumes in die Stube, die dann am Weihnachtsabend geschmückt wurden. Von den Laubbäumen wurde die Eberesche wohl wegen der roten Früchte zum winterlichen Festesbaum. Meist wählt man dafür immergrüne Bäume und Sträucher, so in Salzburg Eiben- und Wacholderzweige für die Perchtelboschen. An die Stelle des immergrünen Zweiges, der häufig mit Früchten geschmückt wird, tritt oft der blühende Zweig. Am Tage der „heiligen Barbara“ und an anderen für den Festbrauch bedeutsamen Tagen werden Zweige eines Obstbaumes gepflückt und bis Weihnachten in Wasser oder Sand gestellt. Am häufigsten wählt man Kirschen- und Weichselzweige, zuweilen aber auch Linde und Flieder, die dann geschmückt werden. Bis ins neunzehnte Jahrhundert war es üblich, selbst einen grossen Baum ins Zimmer zu pflanzen, damit er zu Weihnachten grüne und blühe. In die Zweige wurden überdies Kerzen gesteckt. Zu diesen vielfältigen Formen gesellen sich noch künstliche Bäume aus Zweigen, Stämmen und Früchten, aufgebaut wie das ostfriesische Weihnachtsgestell, die Weihnachtspyramide und der Klausenbaum.

Image

Mit dem Verschwinden des offenen Herdfeuers geriet ein anderer Festesbaum der Weihnachtszeit ziemlich in Vergessenheit, der Weihnachts- oder Julblock, mit dem sehr alte Züge verbunden sind. Vor Weihnachten wurde im Walde feierlich ein Baum gefällt, dessen Stamm drei oder noch öfter zwölf Nächte hindurch, also die ganze Festeszeit, langsam verbrannt wurde. In dieser Zeit durfte man das Feuer nicht erneuern, höchstens vom Nachbarn Glut holen, wenn es ausging. Mit dem Anzünden und Verbrennen des Blockes verbanden sich Lieder, in denen Glück und Fruchtbarkeit für das kommende Jahr verheissen wurden, wie in unseren Ansingeliedern der Weihnachtszeit. In einem dem gleichen Anschauungskreise zugehörigen Liede erzählt der Baum, dass er im Gebirge aufgewachsen sei, mit silbernen Blättern und goldenen Früchten. Er ist der Lebensbaum der Märchen und Lieder, der aus dem Grabe des Toten wächst, als Sinnbild des neuen Lebens, von dem Sagen erzählen, dass er zur Winterszeit erblüht und Früchte trägt, dass seine Lichter dem Wintersturme trotzen. Auch mit dem glimmenden Weihnachtsblock war die Vorstellung von der Erneuerung des Lebens verbunden. So durfte er in Schweden nicht gänzlich verbrannt werden, weil man glaubte, dass in ihm der Kuckuck verborgen sei, der die Fruchtbarkeit des Jahres gewährleiste, und dass bei vollständigem Verbrennen die Ernte geschädigt würde. Das letzte Stück wurde im Kernspeicher aufbewahrt und auf deutschem Boden einst in die letzte Garbe gebunden. Mit ihm entzündete man zum nächsten Weihnachtsfeste den neuen Stamm.

Weihnachten ist zugleich das Fest des neuen keimenden Lebens, versinnbildlicht in dem neugeborenen Kinde, und das Fest des Gedenkens. Erinnerungen an die Ahnen werden wach. Man gedenkt ihrer beim Mahle. Lager werden ihnen bereitet, denn sie kehren in diesen Nächten in ihrer alten Heimstatt ein. Von hier aus verstehen wir auch die Sagen vom wilden Heer, das in den Zwölften zieht und später zu einem Dämonenzuge wurde. Aber die Volkssage weiss noch zu erzählen, dass die Seelen der Ahnen das Gefolge dieses Heeres bilden, die in diesen Nächten einkehren. Nach isländischer Überlieferung wohnen sie das Jahr über im heiligen Berge, wo sie ähnliche Festmahle abhalten, wie Odin mit den Einheriern in Walhall. Auch vom Heere des wilden Jägers wird erzählt, dass es im Berge wohne. Hier klingt eine reiche Fülle arischer Überlieferung an, die von Iran bis in den germanischen Norden reicht, die Sage vom Helden im Berge, der einst mit seinem Heere zum letzten grossen Kampfe kommen wird. Dieser Tag aber kündigt sich an, da der dürre Baum wieder zu grünen beginnt.